Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
41.1979, Heft 1/2.1979
Seite: 141
(PDF, 39 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0147
13. Menschen mit Sonnenuhren und Engel als Geflügel 3-).

In diesem Traum scheint Hebel ein Symbol für das menschliche Dasein gefunden zu
haben, das er im Traum verstanden hat, das ihm im Wachen aber unbegreiflich
geworden ist. Der deutliche Bezug auf uns vertraute Vorstellungen und Undurch-
sichtigkeit des Ganzen machen die Faszination dieses Traumbildes aus: Auf einem
Strom (Symbol des Lebens) fahren Menschen mit den Malen Christi (Symbol für die
christliche Bestimmung des Menschen). Dieser Sachverhalt setzt den Träumer in Erstaunen
, er wird ihm aber einsichtig, als er an den Menschen ein weiteres Mal
entdeckt: Auf ihre Brust sind Sonnenuhren gemalt33). Ist das ein Symbol für die
Zeitverfallenheit des Menschen und ihre Rettung durch Christus?

Der gleiche Traum, der aus christlichem Bildgut ein Symbol für das menschliche Dasein
geformt hat (jedenfalls so verstanden werden kann), spielt aber auch in komischer
travestierender Weise mit christlichen Vorstellungen. Mit der sanften Schönheit des
ersten Bildes kontrastiert die Burleske des zweiten: da werden Engel als Geflügel im
Hof der Markgräfin gehalten, ein Männchen und ein Weibchen, das Weibchen ist
zudem noch schwanger!

Die Wirklichkeit, die sich in Hebels Träumen spiegelt, ist meist die der Karlsruher
Gesellschaft, der Heimat und seiner Freunde, eine geringere Rolle spielen
Aberglauben und Märchenmotive. Der Ausflug ins Weltall bleibt eine Ausnahme.
Für einige Träume ließen sich Erklärungen aufstellen und Bedeutungsabsichten
des Dichters vermuten, eine anarchische Welt phantastischer Bilder finden wir bei
Hebel nicht. Das Bewußtsein ließ sich nicht ausschalten und zwang zu Bedeutungen
, wenn auch eine bewußte Ausgestaltung nur selten zu spüren ist. Und doch
bleiben einige letztlich nicht deutbare Bilder oder bessere Bilder, die ihre Kraft
auch isoliert und ohne die Bedeutung, die man ihnen zuschreiben kann, beweisen.
Ein toter Schmetterling belebt sich und wird zu einem Storch, eine blau-weiße
Maus wechselt ständig ihre Größe und beklagt ihr Los, Verdammte schmachten
als Fische zwischen Buchenblättern, Menschen tragen Sonnenuhren auf der Brust,
schwangere Engel werden als Geflügel gehalten, Bäume entzünden sich oder
sind von durchsichtiger Klarheit — eine Märchenwelt, in die aber auch Ekel und
Grauen einbrechen, die Hölle erscheint und Tote lebendig werden. Es ist eine
reich und bunt bevölkerte Welt, so weit wir aus den Fragmenten schließen
können. Mit weit mehr Recht als der trockene Träumer Varnhagen von Ense
hätte Hebel sich fragen können: „Welcher Dämon gibt sich (. . .) mit Verfertigung
meiner Träume ab." M)

4. Träume der Zeitgenossen

Die besondere Stellung Hebels bestätigt schon ein kurzer Blick auf seine Zeitgenossen
. Georg Christoph Lichtenberg etwa träumt wie Hebel viel von seiner
Mutter, wie Hebel knüpft er gerade an solche Träume eine rationalistische Traumtheorie
. 35) Doch ganz anders als der alemannische Dichter analysiert Lichtenberg
seine Träume mit wissenschaftlicher Akribie. Sie gelten ihm vor allem als Möglichkeit
, ein besseres Verständnis des menschlichen Charakters zu gewinnen.36)
Deshalb fehlt in seinen Aufzeichnungen auch das phantastisch-irrationale, nicht
auflösbare Bild. Er berichtet nur von Traumbruchstücken zur Illustration seiner
psychologischen Überlegungen.37) Das damals populärste Traumgenre, der Wahrsagetraum
, fehlt wie bei Hebel. M)

Stellt man dem Rationalisten Lichtenberg den großen Traumdichter Jean Paul
gegenüber, so ist die Ähnlichkeit der beiden doch überraschend groß. Gewiß,
Jean Paul hat Träume von unübertroffener Kraft der Farben und Formen gedichtet
, er hat sich schon früh mit dem Phänomen des Traums beschäftigt und
das reine Wirken der Einbildungskraft im Traum positiv beurteilt 39), für ihn ist
„der Traum [. . .] das Tempe-Thal und Mutterland der Phantasie." 40) Aber das

141


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0147