Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
41.1979, Heft 1/2.1979
Seite: 166
(PDF, 39 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0172
Die Befreiung der Kunst von allen außerästhetischen Zwecken begann im 19.
Jahrhundert wirksam zu werden, als sich einige Künstler von der Naturnachahmung
abwendeten und Beziehung nahmen zu vorklassischen Kulturen, zu den
Primitivkulturen der Naturvölker und später auch zu den Randgebieten künstlerischer
Tätigkeit, wie sie die naive Volkskunst, die bildnerischen Werke der
Kinder und die Kunst der Geisteskranken darstellen.

Die beginnende Autonomie der Kunst zeigt sich in der Verselbständigung der
Bildelemente — Linie, Fläche, Farbe — im Werk von Paul Cezanne. Er zerlegte
das Naturvorbild in sichtbar bleibende Linien und Flächen und fügte sie nach
der Eigengesetzlichkeit seiner Bildvorstellung wieder so zusammen, daß die Einheit
der Natur dennoch erhalten blieb. Van Gogh überführte das statische Naturvorbild
in den dynamischen Prozeß seiner Welterfahrung. Auch hier reißt der
Zusammenhang mit dem Naturvorbild nicht ab, es wird jedoch bis in den einzelnen
Pinselstrich hinein dem subjektiven Ausdruckswillen unterworfen.

Bis zur völligen Aufgabe des Naturvorbildes war nur noch ein kurzer Weg.
1906 schrieb W. Worringer in seinem Buch: „Abstraktion und Einführung":

„Die banalen Nachahmungstheorien, von denen unsere Ästhetik nie los kam.
haben uns blind gemacht für die eigentlichen psychischen Werte, die Ausgangspunkte
aller künstlerischer Produktion sind ... so ist Kunst nur eine andere
Äußerungsform jener psychischen Kräfte, die, in demselben Prozeß verankert,
das Phänomen der Religion und der wechselnden Weltanschauung bedingen."

1910 sprach sich W. Kandinsky in seinem Buch: „Über das Geistige in der
Kunst" folgendermaßen aus: „Der ganze Alpdruck der materialistischen Anschauungen
, welchen aus dem Leben des Weltalls ein böses zweckloses Spiel gemacht
haben, ist noch nicht vorbei . . . hinter diesen Grenzen liegt rechts die
reine Abstraktion und links die reine Realistik. Zwischen denselben grenzenlose
Freiheit und Reichtum der Möglichkeiten." Kandinsky fügt dem hinzu, daß die
Freiheit des Künstlers unter der selbst auferlegten sittlichen Pflicht der „inneren
Notwendigkeit" stehen müsse.

Diese „grenzenlose Freiheit" und der „Reichtum der Möglichkeiten" bestimmen
fortan die künstlerischen Äußerungen und führen zu zahlreichen kurzlebigen
Stilrichtungen, in denen nicht nur die Autonomie des Kunstwerks und die damit
verbundene Verselbständigung der Bildmittel verwirklicht, sondern auch die Grenzen
dieser Möglichkeiten erreicht werden, die in der Minimalität der subjektiven
Welterfahrung begründet sind.

Die Konzentration auf den rein ästhetischen Aspekt der Kunst hat zur Rück-
orientierung in die Frühbereiche ästhetischer Erfahrungen geführt. Gleichzeitig
hat die Minimalität der subjektiven Welterfahrungen in großem Umfang die
Belanglosigkeit der künstlerischen Produktion zur Folge. Daher wirken so viele
dieser Kunstwerke wie Produkte eines Schrumpfungs- oder Verkümmerungsprozesses
oder wie Vorformen der Kunst, d. h. wie ästhetische Differenzierungsversuche
, die ihre Entsprechung in den ästhetischen Entwicklungsphasen des Kleinkindes
haben — mit dem Unterschied, daß die Differenzierungsbemühungen des
Kindes in die artikulierte Gegenständlichkeit seiner Erlebniswelt einmünden,
während die Kunst der Erwachsenen in weiten Bereichen zur minimalen ästhetischen
Geste degeneriert. Es ist bemerkenswert, daß die Dominanz des rein Ästhetischen
in der Kunst sinkende Qualität und ein hohes Maß an Häßlichkeit hervorgerufen
hat.

Die Betriebsamkeit der Kunstszenerie und ein breiteres allgemeines Kunstinteresse
können über fragwürdige Aspekte der Kunst nicht hinwegtäuschen, und
es fehlt auch nicht an Neigungen, die Ästhetik zu ideologisieren, um damit Fragen
zu verhindern. Für Adorno wird die Kunst angesichts der Realität unernst,
weil diese Realität nicht mehr im visuellen Bereich bewältigt werden könne.

166


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-01-02/0172