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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
41.1979, Heft 3/4.1979
Seite: 320
(PDF, 31 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1979-03-04/0124
sondern man wird begrüßt und grundsätzlich ins Zimmer geführt, wo erst die
eigentliche Begrüßung stattfindet. Dagegen erinnere ich mich an einen Besuch bei
einem der reichsten Bauern in einem Dorf im nördl. Teil Badens, wo man mich
in der Küche abfertigte und stehen ließ, ohne mir auch nur einen Stuhl anzubieten
. Und wenn etwa jemand meint, er könne sich beliebt machen, wenn er
sich gemein macht, indem er sich des Straßenjargons bedient, erliegt einem verhängnisvollen
Irrtum. Der Alemanne weiß sich zu benehmen, er hat gute Umgangsformen
und legt großen Wert darauf. Der Freundlichkeit seines Wesens
entspricht auch seine Gastfreundschaft. Wenn Luther in einer seiner Tischreden
die Gastfreundschaft der Süddeutschen herausstellt, während er behauptet, daß
sich die Norddeutschen mit allen möglichen und unmöglichen Entschuldigungen
der zu übenden Gastfreundschaft entziehen, so trifft diese Feststellung Luthers
in Bezug auf die Gastfreundschaft der Alemannen absolut zu. Dazu gesellt sich
die Freigebigkeit. Jede Aufmerksamkeit oder Hilfeleistung wird mit einer Gegengabe
beantwortet. Wie oft habe ich mich gewundert über die Fülle an Geschenken,
wie sie unter den Alemannen üblich sind. Da eine solche Gesinnung die Freundschaft
erhält, ist Feindschaft unter den Alemannen nicht üblich. Nachbarschaftshilfe
ist eine vorzügliche Selbstverständlichkeit. Außer dieser Gesinnung ergibt
sich dann auch der Tatbestand, daß Diebstahl unter Alemannen ursprünglich nicht
bekannt war. Kein Alemanne käme auf den Gedanken, etwa ein Fahrrad zu
entwenden. Man kann es im Feld oder in den Reben getrost irgendwo stehen
oder liegen lassen. Zusammenfassend darf man feststellen, daß das sittliche Verhalten
bei den Alemannen eine bedeutende Rolle spielt. Das kommt deutlich zum
Ausdruck in einer Reaktion auf eine Predigt, in der die Gemeinde sich angegriffen
fühlte. Die für Alemannen typische Antwort lautete: „Mir sin rächti Lüt!" Man
kann das den Alemannen nach den bisherigen Feststellungen durchaus bescheinigen
. Als vor Jahren im Fernsehen eine Sendung über das Markgräflerland ausgestrahlt
wurde, die der alemannischen Wesensart nicht gerecht wurde, mußte
der für diese Sendung Verantwortliche harte Kritik einstecken.

Sehr hoch im Kurs steht bei den Alemannen die Freiheitsliebe. Aus Liebe zur
Freiheit hat sich die alemannische Schweiz ihre Selbständigkeit im Verlauf von
drei Jahrhunderten erkämpft und bis zum heutigen Tag erhalten. Der Alemanne
setzt sich gegenüber jedem Druck, ob er vom Staat oder von der Kirche kommt,
zur Wehr. Pfarrer, die mit einem zu starken Sendungsbewußtsein zu den Alemannen
kommen, haben es sehr schwer. Sie gehen entweder bald wieder weg,
oder sie resignieren und geben das Unterfangen auf, das Gemeindeleben ändern
zu wollen. Der Liebe zur Freiheit entspricht der hohe Stellenwert, den die Toleranz
unter den Alemannen einnimmt. Konfessionelles Gezänk lehnt man ab. Beim
Einkauf fragt man nicht, ob der Inhaber des Geschäftes katholisch oder evangelisch
ist. Auch der politisch anders Denkende wird akzeptiert.

Zur Wesensart der Alemannen gehört auch seine konservative Einstellung.
Er hält am Althergebrachten fest, pflegt Jahrhunderte oder gar schon Jahrtausende
alte Sitten aus heidnischer Zeit, ohne den Sinn zu kennen. So veranstaltet man
jährlich am Sonntag nach Fasnacht das Scheibenfeuer, bei dem es sich um
einen uralten Sonnenkult handelt, und am Sonntag Lätare den Hisgier, bei dem
es ursprünglich darum ging, durch Magie den Winter zu vertreiben. In manchen
Dörfern, in denen noch Brunnen vorhanden sind, werden diese an Pfingsten mit
Blumen geschmückt, zu verstehen als Rest eines alten Fruchtbarkeitskults. Sehr
lange hat man auch an der Markgräfler Tracht festgehalten. Noch bis vor wenigen
Jahren erschienen die meisten Frauen in vielen Dörfern am Sonntag zum Kirchgang
in der Tracht. Es ist auch noch nicht lange her, daß die Mädchen sich in
der Tracht konfirmieren ließen. Eine häufig gemachte Erfahrung zeigt auch, daß
Neuerungen es sehr schwer haben, sich durchzusetzen. Das sogenannte „neue"
Gesangbuch hat lange gebraucht, bis es akzeptiert wurde, von der Änderung

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