Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
42.1980, Heft 3/4.1980
Seite: 230
(PDF, 32 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1980-03-04/0024
4. Die Herausbildung dörflicher Eigenart

Der gestalteten bäuerlichen Lebenseinheit, die im Dorfbild noch mehr oder weniger
unangetastet erscheint, entspricht der tatsächliche Lebens- und Wirtschaftszusammenhang
der Markgräfler Dörfer natürlich nicht mehr.

Dieser Veränderungsprozeß ist nicht plötzlich gekommen. Soweit war das Dorf
in der Gesellschaft nie autark, daß nicht Einflüsse der in den Städten geformten
Wirtschaftsweise gewirkt hätten.

Frühere Formen der Wirtschaftsverflechtung haben aber die bäuerliche Grundstruktur
nicht wesentlich geändert. Bauern und Dorfhandwerker blieben unter sich,
Häuser für Taglöhner und Arbeiter fügten sich der dörflichen Struktur zwanglos
ein. Diese Arbeiter waren eine Art früher Nebenerwerbslandwirte, und auch die
übrigen Merkmale der bäuerlichen Lebensweise trafen auf sie zu (räumliche Einheit
von Wohnen und Arbeiten, Generationszusammenhang). Ihre Bauweise war
die gleiche, nur in der Hausgröße von den älteren Bauernhöfen unterschieden.

Der dörfliche Lebensraum, der auf die landwirtschaftliche Produktion gegründet
ist, bleibt erhalten und geschlossen. Wer keinen Lebensunterhalt mehr im Dorf
findet, der verläßt das Dorf als Auswanderer in ferne Länder oder in die neuen
Beschäftigungsbereiche, die in den Städten angeboten werden (Dienstboten und Industriearbeiter
).

Die in Gang gekommene gesellschaftliche Umwälzung betrifft viele Menschen
in den Dörfern durch den Verlust ihrer bäuerlichen Lebensgewohnheiten und Umwelt
schwer, das spezifisch bäuerliche dörfliche Gefüge bleibt aber inselartig erhalten
, und die bauliche Substanz wird noch während des ganzen 19. Jahrhunderts
erneuert und erweitert.

Erst in diesen Jahren bildet sich das Dorf in der Form heraus, in der wir es
heute erhaltenswert finden (vgl. Abb. 6).

Die Markgräfler Dörfer erreichen um die Mitte des Jahrhunderts ihre höchste
Bevölkerungszahl, ihre größte bauliche Verdichtung, und in der zweiten Hälfte
konstituieren sie die Dorfgemeinschaft nach dem Muster der inzwischen konsolidierten
bürgerlichen Gesellschaft neu.

Vereine und Feuerwehren werden gegründet, das Dorf als politische kommunale
Einheit drückt sein neues Selbstbewußtsein in Rathäusern aus, die einem
Kenner der alten bäuerlichen Kultur als wenig „dorfgerecht" erschienen sein müßten
(siehe Abb. 7). Gemeindewappen werden im Rückgriff auf die Ortsgeschichte
neu erarbeitet und vom Kaiser bestätigt. Die alten Schulhäuser werden wieder hergestellt
und erweitert oder neu gebaut, erste Wasserversorgungen und öffentliche
Beleuchtung eingerichtet.

Das damals neu geschaffene Sozialgefüge unterscheidet sich im Wesen nicht mehr
von der Stadt, es ist nur im örtlichen Umfang kleiner und es bezieht sich ausschließlich
auf die Agrarwirtschaft, die Grundstoff- und Kapitalbeschaffung und Vermarktung
, zuvor dem neuen Wirtschaftsgefüge angepaßt (Genossenschaftswesen),
die handwerklich orientierte Produktionsweise in der Eigentumsform des Familienbetriebs
aber nicht aufgibt.

Das bauliche Gefüge bleibt damit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa
auf dem Stand der Jahrhundertwende erhalten. Neubauten kommen kaum hinzu,
der Bevölkerungsüberschuß wandert in die Städte ab, die Bevölkerung sinkt auf
eine Größe, die sie um 1800 erreicht hatte.

Es ist diese Überlagerung von selbständiger kleinbäuerlicher Existenz, die in
handwerklicher Arbeit im täglichen Umgang mit der Natur ihren Lebensunterhalt
selbst schafft, mit der bürgerlichen Organisation eines überschaubaren kleinen Gemeinwesens
von Gleichen, die uns heute zum Wertbegriff des Dörflichen geworden
ist. Die vorübergehende Einheit ist verkörpert in der Baustruktur und im gesamten
Erscheinungsbild des Dorfes, sie steckt hinter der landschaftlichen Einbindung

230


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1980-03-04/0024