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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
42.1980, Heft 3/4.1980
Seite: 231
(PDF, 32 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1980-03-04/0025
des Dorfes, hinter der Atmosphäre der Dorfstraße, hinter dem menschlichen Maßstab
der Bauten noch über den Tag hinaus, an dem der letzte Landwirt seinen
Betrieb im Ort aufgegeben hat.

5. Die neuen Funktionen der Dörfer

Wenn wir heute das Dorf als versteinerten Abguß der Dorfgemeinschaft bewahren
wollen, weil die Werte dieser Lebensform uns als Orientierungshilfe noch etwas
bedeuten können, sind wir uns oft gar nicht mehr genau im klaren darüber, was
uns daran fasziniert. Wir vergessen, daß noch in den 50er und frühen 60er Jahren
die dörfliche Gemeinschaft in den Grundschulbüchern als Beispiel einer lebenswerten
Gesellschaft überhaupt dargestellt war, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt ihre
wichtigste Grundlage, der kleinbäuerliche Betrieb, in voller Auflösung befand. Er
fiel dem sogenannten Strukturwandel der Landwirtschaft zum Opfer, der nichts
anderes ist als die Angleichung der Agrarproduktion an die allgemein entwickelten
Methoden der Produktion. Trotz der Verzögerung des Prozesses durch die Agrarpolitik
und die Koppelung der Betriebsaufgabe an den Generationenwechsel auf
dem Hofe haben sich die Veränderungen der Wirtschaftsgrundlage auf dem Dorfe
innerhalb eines Jahrzehnts durchgesetzt.

Die großen Bauern wurden in ihre Flur ausgesiedelt und trugen zur Verarmung
des Dorfes bei. Ihre neuen Produktionsanlagen haben auch mit Werkshallen mehr
Ähnlichkeit als mit dem alten Bauernhof und nähern sich vor allem in der Veredelungswirtschaft
schon den Dimensionen von Fabrikanlagen. Der gelegentlich
unternommene Versuch, im Rahmen der Flurbereinigung einen Ortskern baulich
auf die neuen Erfordernisse umzustellen, endete in spektakulären „Kahlschlagsanierungen
Auf die Bedürfnisse einer industriell betriebenen Landwirtschaft
sind die Bauten der bäuerlichen Familienbetriebe nicht umzustellen.

Mit dem Rückgang dieser Betriebe stellt sich die Frage nach der Weiterverwendung
der dörflichen Bauten auch ganz anders. Bleibt die Hofstelle im Nebenerwerb
erhalten oder findet sie sich als kleiner Haupterwerbsbetrieb noch in einer
Ubergangsphase, wird in die Mechanisierung investiert. Damit gehen kleinere und
größere Umbauten einher, die unter dem Kostendruck, der schlechten Ertragslage
und den Auflagen der Subventionsprogramme mit billigen Materialien und Bauweisen
ausgeführt werden.

Die ersten Bausünden im Detail setzen sich schnell fort in die lange vernachlässigte
Restauration der Wohnhäuser nach dem Standard, den die Bauernkinder
in den Wohnvierteln der Städte kennengelernt haben. Wer endgültig zum Arbeitspendler
geworden ist, baut den ererbten Hof schließlich ganz zum Wohnhaus nach
vorstädtischem Muster um. Die ersten Scheunen stehen leer (s. Abb. 8).

Im Ort ist — an den Häusern ablesbar — der Funktionswandel in Gang gekommen
. Je nach der Lage zu den städtischen Arbeitsmarkt- und Dienstleistungszentren
und der Art der natürlichen Umwelt wird das Dorf zum Wohnen genutzt,
muß für Wochenend- und Urlaubserholung hergerichtet werden oder bemüht sich
als Standort für Betriebsauslagerungen, solange die billigen Arbeitskräfte, die das
Dorf zu bieten hat, noch gesucht sind.

Förderprogramme und der Mechanismus der Gewerbesteuer verschaffen fast
jedem Dorf seinen Industriebetrieb. Oft waren solche Ersatzfunktionen nur kurzlebig
, aber darauf konnte ein Ort keine Rücksicht nehmen, der auf der Suche nach
Beschäftigungsmöglichkeiten für seine Bevölkerung jede Art von Ausverkauf ländlicher
Ressourcen zu treiben gezwungen war, ohne auf Dauer wirklich erfolgreich
zu sein. Die Wohnfunktion für Arbeitspendler ist dagegen die solideste Existenzgrundlage
der Dörfer geworden. Wo sie wegen der Entfernung zu den Arbeitsstätten
nicht mehr in Frage kommt, liegen auch heute noch die ländlichen Problemgebiete
.

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