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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
42.1980, Heft 3/4.1980
Seite: 332
(PDF, 32 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1980-03-04/0128
Gefallen, Vergnügen, kurz den ästhetischen Genuß haben die Gebildeten, das
einfache Volk zeigt seine Freude unreflektiert im Gesang, im übrigen aber hat
es das Lied verstandesgemäß zu erfassen, zu verstehen, um sich so bessern zu
lassen.

Solche Vorstellungen haben auch Johann Peter Hebel geprägt, zumal Voß
einer der wenigen Dichter ist, mit dem Hebel sich schon als junger Mann
beschäftigt hat. Schon sehr früh, 1782 und 1783, interessiert er sich für den
Göttinger Hain. In seinem Exzerptheft notiert er sich sorgfältig jeden Beiträger
zum Musenalmanach von 1782 8) und 1783 9) und schreibt drei Gedichte ab10).
Das ist auffallend, weil sich sonst kaum Einträge zur zeitgenössischen deutschen
Dichtung finden. Zwei Jahre später gilt Hebels Augenmerk den Gedichten von
Voß, deren Rezension ihm vorlag. Im Exzerptheft lesen wir:
Gedichte von J. H. Voß. 1 Band (1 rthr 4 gr.)

Sie müssen den edelsten u. aufgeklärtesten der Nation gefallen, und sind
dennoch in einer Sprache gedichtet, die selbst jedem der niedern Klaße des
Volks verständlich] ist od. leicht kan verständlich] gemacht werden.
Also wahre Volkslieder ").
Hebel beschränkt sich in seinem Rezensionsauszug auf einen Gesichtspunkt,
nämlich die Fähigkeit der Voß'schen Gedichte, Gebildete wie Ungebildete anzusprechen
. Daraus schließt er, wie der Rezensent, aber stärker betont durch das
einleitende „also", es handle sich um „wahre Volkslieder".

Volkslied ist demnach für Hebel ein Gedicht für alle Schichten des Volkes,
das sprachlich auf die Ungebildeten Rücksicht nimmt, damit sie es verstehen, und
das den Gebildeten ästhetischen Genuß verschafft, kurz das „Allerschwerste" in
der Formulierung Schillers 12). Das bleibt Hebels Leitbild, auch als er beinahe
zwanzig Jahre später die „Allemannischen Gedichte" schreibt. In einer Subskriptionsanzeige
stellt er sie folgendermaßen dar:

Volksgedichte, in Volksdialekten verfaßt, haben zwar zum Voraus eine
ungünstige Meinung für sich, weil niedrige Posse sich schon zu oft in dieses
Gewand gehüllt hat. Gleichwohl könnten sie von großer Wirkung und mehrfachem
Nutzen seyn, wenn die Dichtung nicht eben so gemein, wie die
Sprache, sondern auch in ihr noch edel und würdig wäre, und mit Sichtung
und Wahl der Ausdrücke und Redeweisen nur die Einfalt und Naivität
der Volkssprache für einfache und liebliche Darstellung bewußt würde. Der
gebildete Leser würde sich an den durch Treue und edle Einfalt schönen
Copien der Natur und des Lebens erfreuen, dem Ungebildeten würde das
Wahre und Schöne darin durch das Vehikel der Sprache, in der er geboren
ist, leichter und lebendig in die Seele gehen, und der Sprachforscher, dem
bisher für die Kunde der Dialekte fast nichts als trockene Idiotika ?u Hülfe
stunden, würde sie in gefälligen Texten mit ihrem ganzen Gefüge und
Gewebe vor Augen haben, und durch Vergleichung derselben ohne Zweifel zu
wichtigen Resultaten über die Bildung und Form der Sprache geführt
werden 1S).

In dieser Anzeige findet sich das ganze Programm aufklärerischer Poetik. Da
ist einmal das Etikett „Volksgedichte", das Hebel wählt, weil seine Gedichte ja
noch nicht gesungen werden, denen er aber Melodien beigibt, damit sie zu
Volksliedern werden können.

Mit dieser Klassifizierung untrennbar verbunden ist die Zweiteilung14) der
Rezipienten in Gebildete und Ungebildete und ihre unterschiedliche RezeDtions-
weise. Der Gebildete genießt die Schönheit der Gedichte in der gleichen Weise wie
er etwa griechische Kunst genießt, was Hebel durch das Winkelmann-Zitat —
edle Einfalt — ausdrücklich unterstreicht. Davon gesonderte Wahrheitslehren
braucht der Gebildete nicht zu ziehen, denn auf ihn wirkt das Schöne ja auch
moralisch. Der Ungebildete dagegen erlebt zwar die Schönheit des Gedichts,

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