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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
42.1980, Heft 3/4.1980
Seite: 335
(PDF, 32 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1980-03-04/0131
Über diese Gemeinplätze hinaus reichen die Rezensionen nie, nur Jean Paul
und Goethe verraten eine über modische und beinahe schon wieder altmodische
Klischees hinausgehende Einsicht. Für Jean Paul ist das wesentliche Merkmal
der Gedichte die Personifikation, die er auf Hebels Verhältnis zur Natur zurückführt
:

Unser allemannische [!] Dichter [...] hat für alles Leben und für alles Sein
das offene Herz, die offenen Arme der Liebe, und jeder Stern und jede
Blume wird ihm ein Mensch. Durch alle seine Gedichte greift dieses schöne
Zueignen der Natur, deren allegorisierende Personifikation er oft bis zur
Kühnheit der Laune steigert
Jean Paul bleibt — anders als manche moderne Interpreten, insbesondere Susi
Löffler — nüchtern genug, das nicht mit Mythisierung gleichzusetzen und Hebels
dichterisches Genie in einen archaischen Nebel zu hüllen. Er betont ausdrücklich:
„Freilich können wir den Bergen, Bäumen und Sternen, worein sonst die Griechen
Götter zauberten, jetzo nur Seelen einblasen, und was jene vergötterten, nur
beleben." 37) Diesen Gedanken hat Goethe dann aufgegriffen und ihm den Ausdruck
verliehen, der unsere Vorstellung von Hebels Dichtung auch heute noch
prägt:

Wenn antike oder andere durch plastischen Kunstgeschmack gebildete Dichter
das sogenannte Leblose durch idealische Figuren beleben, und höhere, göttergleiche
Naturen, als Nymphen, Dryaden und Hamadryaden an die Stelle
der Felsen, Quellen, Bäume setzen: so verwandelt der Vf. diese Naturgegenstände
zu Landleuten, und verbauert, auf die naivste, anmuthigste Weise,
durchaus das Universum; so daß die Landschaft, in der man denn doch den
Landmann immer erblickt, mit ihm in unserer erhöhten und erheiterten
Phantasie nur eins auszumachen scheint3S).
Schon zwei Jahre später wird dieser Gedanke in einem Vergleich zwischen
Hebel und Hesiod wieder aufgenommen:

[Hebel] weiß besonders dadurch zu interessieren, daß er nicht nur, was
lebt und webt, sondern man kann sagen, was nur ein Ding ist, und entweder
einen idealischen oder reellen Wirkungskreis hat, auf die naivste Weise zu
einer Person umgestaltet, wobei er sich nicht begnügt, ihr Eigennamen und
kümmerliches Leben ertheilt zu haben, nein, die er mit allem ausstattet, was
nur zu einer vollständigen persönlichen Existenz gehört, als da sind Lebensart
, Leidenschaften, Verbindungen mit ähnlichen Wesen, angemessenem
Gespräch [...] »).

Diese Ubersicht macht klar: Die Grundgedanken der Rezensenten sind die
auch schon von Hebel ausgesprochenen zeittyptischen Vorstellungen von einer
didaktisch wertvollen, ästhetisch befriedigenden, alle Schichten ansprechenden
Dichtung. Die alemannischen Gedichte sind also Volkslieder oder Volksgedichte,
naiv und lieblich in ihrer Mundart, den Gebildeten ein ästhetischer, den Ungebildeten
ein moralischer Genuß. Nur Jean Paul und Goethe haben versucht,
Hebels unverwechselbarer poetischer Technik auf die Spur zu kommen, und
fanden ihren Kern in der Belebung der gesamten Natur und des Kosmos, in der
Personifikation, die ihre Gestalten dem bäuerlichen Leben entnimmt.

Es ist nun nicht weiter verwunderlich, daß Rezensenten den Vorstellungen
ihrer Zeit verhaftet bleiben, verblüffend aber ist es, daß sich alle literaturwissenschaftlichen
Deutungs-Versuche der letzten 100 Jahre in dem Rahmen bewegen
, der schon zu Hebels Lebzeiten abgesteckt wurde. Das läßt sich nicht
ausreichend damit erklären, daß die Autorität Goethes die Wissenschaftler auf
eine bestimmte Bahn festlegte. Vielmehr scheint es so, daß Hebel, der sich so
widerspruchslos dem Zeitgeist zu fügen schien, zu einem alemannischen Mythos
mit den genannten Attributen wurde, den man zwar ausgestalten, differenzieren,
klären durfte, an dessen Grundfesten zu rütteln aber undenkbar ist.

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