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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
43.1981, Heft 1.1981
Seite: 132
(PDF, 31 MB)
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triebes zu testen, man muß die scheinbar so harmonische Dorfgemeinschaft kritisch
durchleuchten und fragen, wo Interessenkonflikte sitzen. Dieser Weg mag gelegentlich
etwas mühsam sein, aber er ist wohl nötig, wenn man sich in bezug auf unsere Vergangenheit
nicht in Agrarromantik verlieren will, sondern wirklich wissen möchte, wie die
Menschen gelebt haben. Außerdem steckt in der Frage nach dem Tauner eines der großen
noch ungelösten Probleme der schweizerischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, das
Problem nämlich, woher die Arbeiter gekommen sind, mit denen sich die allerwichtigste
wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes vollzogen hat, die Industrialisierung des 18.
und 19. Jahrhunderts.

Ein paar Worte zu den Begriffen des Titels! Unter Bauern verstehe ich Betriebsinhaber
, die aus ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit genug gewinnen, um mindestens ihre
Familie zu ernähren. Tauner haben dazu zu wenig Land und brauchen einen Nebenerwerb
. Das Kornland ist jene Zone der alten Schweiz, in welcher durchaus die Produktion
des Brotgetreides im Zentrum steht; das drückt sich dort so aus, daß die Dreizelgenwirt-
schaft obligatorisch ist, also daß Flurzwang herrscht. Das Stichjahr 1700 habe ich gewählt
, weil zu diesem Zeitpunkt die Heimindustrie noch nicht eine so große Rolle spielte
wie im 18. Jahrhundert und weil auch die umwälzenden landwirtschaftlichen Innovationen
— Einschläge, Anbau der Brache, Kartoffelbau, Allmendaufteilung — noch keine
Massenwirkung entfalten. In dieser Zone und zu diesem Zeitpunkt möchte ich nun den
Tauner, den großen Unbekannten der schweizerischen Sozialgeschichte, aufsuchen.

Tauner kommt von Tagwen; der zweite Teil des Wortes, das sich schon im Mittelalter
findet, hängt mit ge-winnen zusammen. »Tagwen« bedeutet also ursprünglich Tagesgewinn
, Taglohn. Wenn der Sprachgebrauch den Tauner also als Taglohnempfänger definiert
, darf man sich dadurch nicht zu der Annahme verleiten lassen, daß die Tauner ausschließlich
von diesem Arbeitsverdienst gelebt hätten. Man benannte sie einfach nach jenem
Teil ihrer Tätigkeit, der sich von den anderen Dorfbewohnern unterschied. Die wenigen
erhaltenen Zählungen, welche Berufsbezeichnung und Landbesitz melden, beweisen
mit aller Deutlichkeit, daß die Tauner in aller Regel auch Land bebauten; sie sind also
als Kleinbauern zu verstehen, deren landwirtschaftlicher Ertrag nicht reicht, um eine Familie
zu erhalten; den Rest suchen sie mit Taglöhnerei oder mit den bescheideneren
Dorfhandwerken zu erwerben. Das Dienstverhältnis des Stör-Handwerkers ist ja dem
des Taglöhners genau nachgebildet, indem auch der Stör-Handwerker im Hause des Arbeitgebers
arbeitet und ißt, so daß der Naturallohn einen gewissen Teil seines Erwerbs
ausmacht. Leider wissen wir sozusagen nichts über den Umfang der Taglöhnerei, d. h.
über die Anzahl von Arbeitstagen pro Jahr; wir wissen wenig über die Entlohnung, und
auch über die Ausgestaltung des persönlichen Verhältnisses zwischen dem Bauern und
seinem Tauner können wir uns nur Vorstellungen bilden, wenn wir die Situation durchdenken
; die Quellen schweigen fast vollständig.

Die Tauner wohnten in den meisten Fällen unter den übrigen Dorf genossen; in einzelnen
Fällen lassen sich in Dorfplänen Häusergruppen von kleinen Gebäuden, etwa auf
Allmendboden, feststellen, die als Taunerhäuser verstanden werden können oder sogar
als solche bezeichnet wurden. In einem Grundriß von Sissach BL von 1689 sieht man
zehn in einer Reihe stehende Häuschen, die als Beispiel gelten können.

Außer den Taunern mit kleinem Grundbesitz gab es auch eine unterste Schicht im
Dorf, die überhaupt keinen eigenen Boden bearbeitete. In gewissen Gegenden der
Schweiz scheint man ausschließlich diese landlose Schicht als Tauner bezeichnet zu haben
, während man in den meisten Gegenden (zum Beispiel auf der Basler Landschaft)
zwischen Taunern — mit geringem Grundbesitz — und Taglöhnern — ohne Grundbesitz
— unterschied. Meine folgenden Ausführungen verstehen unter dem Tauner immer den
Mann mit einem geringen Grundbesitz. Uber die Schicht der Armen ohne Land müßte
man separat sprechen. '

Gab es viele Tauner in den Kornlanddörfern? Auch darüber schweigen die Quellen im
allgemeinen; man muß schon froh sein, wenn man da und dort Ubersichten findet, die

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