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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
43.1981, Heft 1.1981
Seite: 140
(PDF, 31 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1981-01/0142
6. Bauern und Tauner in der Politik

Die Dorfgemeinde hatte eine Reihe von gemeinsamen Aufgaben zu lösen, die sich vor
allem auf Flurordnung und Armenwesen bezogen. Dazu kamen diejenigen Dorfämter,
die den Kontakt mit der Obrigkeit vermittelten, und diejenigen im kirchlichen Bereich,
wo es ja auch um den Umgang mit einer Obrigkeitsperson ging, nicht dem Landvogt,
aber dem Pfarrer. In Baselbieter Dörfern waren es vor allem die folgenden Ämter: Untervogt
, Amtspfleger, Geschworene, Armenschaffner, Kirchmeier, Bannbruder. In einer
Stichprobe aus elf Dörfern zeigt sich 1774, daß die Vollbauern und Halbbauern mit
15% der Bevölkerung 52% dieser Ämter innehatten. Die eigentlichen Tauner mit 33%
hatten nur 17% der Ämter, die Heimarbeiter mit 30% nur 8% der Amtsstellen. Die
Ämter verliehen nicht nur Prestige innerhalb der dörflichen Bevölkerung, sondern sie
gaben auch die Möglichkeit, die eigenen Klienten zu schützen und zugleich abhängiger
zu machen, dazu die Möglichkeit, bei der Flurordnung die eigenen Interessen durchzusetzen
. Nur nebenbei sei gesagt, daß offenbar auch das Schreibenkönnen bei den Amtsträgern
stärker verbreitet war als bei der Gesamtbevölkerung, was man aus den Unterschriften
von Testamenten herauslesen kann; selbst das Bildungsgut scheint also im Dorf
nach der Sozialschichtung verteilt gewesen zu sein.

Es ging in dieser Untersuchung, die eine erste Summe aus langfristigen Arbeiten darstellt
, im wesentlichen darum, die rechts- und sozialgeschichthchenDokumente darüber
zu befragen, wie die Bevölkerung in einem schweizerischen Kornlanddorf geschichtet
war und zusammen gelebt hat. Man neigt ja zu idyllischen Bildern, und auch der Sprachgebrauch
verleitet einen dazu, etwa wenn man von »Dorfgenossen« spricht. Darüber
hinaus nimmt man allzuleicht an, daß das Dorf des Ancien Regime aus lauter selbsterhaltenden
Bauernhöfen bestanden habe. Die bisherige schweizerische Geschichtsschreibung
hat wenig auf die Landbevölkerung geachtet; wenn sie in bezug auf die Bauernschaft
von Herrschaft und Unterdrückung überhaupt gesprochen hat, dann geschah das
nur in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Stadt und Land. Diese Front der Beherrschung
soll beileibe nicht geleugnet werden; es gab die Unterdrückung des Landvolkes
durch die Städte, die sich ja in einigen Kantonen bis zur Französischen Revolution im Institut
der Leibeigenschaft ausdrückte. Aber man darf dabei nicht übersehen, daß es innerhalb
des Dorfes und unabhängig von der städtischen Herrschaft starke soziale Ungleichheiten
gab und daß zwischen »Dorfgenossen« schroffe wirtschaftliche Interessengegensätze
bestanden. Die Bauern — vor allem die Vollbauern, die einen ganzen Zug besaßen
, aber auch die Halbbauern — bildeten eine privilegierte Dorfelite. Alle ihre Vorrechte
beruhten, soviel ich sehe, zunächst auf dem größeren Landbesitz — der ja bei uns
in aller Regel immer noch kein Großgrundbesitz gewesen ist. Aus dem größeren Landbesitz
flössen weitere Möglichkeiten, die die Bauern aus der Dorfbevölkerung heraushoben
und sich wie Privilegien auswirkten, Möglichkeiten, die leicht zur Herrschaft von
Menschen über Menschen wurden: Die Bauern konnten Zugvieh halten — daraus ergab
sich das Monopol der Pflügedienste, die Abhängigkeit schufen. Sie bekamen Ernten, die
über den Eigenbedarf hinausgingen; daraus entstand ein Monopol auf Arbeitsangebot,
ein Monopol auf Getreideverkauf an die NichtSelbstversorger und damit noch einmal
Abhängigkeit. Die Macht, die den Bauern aus diesen primären Vormachtspositionen zufloß
, schuf sekundäre Privilegien: Sie konnten mit ihrer Hilfe die Dorfämter monopolisieren
, die Trägereien und vor allem die Zehntbestände in die Hand bekommen und ungestraft
die Allmend übernutzen. Die Tauner erschienen demgegenüber als Un-privile-
gierte, die in allen genannten Bezügen von den Bauern abhängig waren. Wir wissen wenig
darüber, ob die Tauner eines Dorfes in ihrer Gesamtheit von der Gesamtheit der

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