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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
44.1982, Heft 1.1982
Seite: 138
(PDF, 29 MB)
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Rechte in seiner Rocktasche vergraben und spielte da mit einem Gegenstand, der mir wie
ein kleines Buch vorkam. Schließlich zog er ihn heraus, es war wirklich ein Buch, er hielt
es mir mit einer feierlichen Geste hin und sagte: »Wollen Sie das Teuerste sehen, was ich
besitze? Ich trage es immer bei mir, ich vertraue es niemandem an. Wenn ich schlafen gehe
, lege ich es unter mein Kissen.«

Es war eine kleine Ausgabe von Hebels Schatzkästlein aus dem vorigen Jahrhundert.
Ich öffnete es und las die Widmung:

Für Ludwig Hardt, um Hebel eine Freude zu machen, von Franz Kafka.

Es war Kafkas eigenes Exemplar des Schatzkästleins, das auch er mit sich herumzutragen
pflegte. Als er Ludwig Hardt zum erstenmal Hebel sprechen hörte, sei er derart ergriffen
gewesen, daß er ihm sein Exemplar mit dieser Widmung geschenkt habe. »Möchten
Sie wissen, was Kafka damals von mir gehört hat?« fragte Hardt. »Ja, ja« sagte ich.
Dann sprach er auswendig wie immer, das Buch lag indessen in meiner Hand, in dieser
Reihenfolge:

»Einer Edelfrau schlaflose Nacht«, die beiden »Suwarow«-Stücke, »Mißverstand«,
»Moses Mendelssohn« und als letztes »Unverhofftes Wiedersehen«.

Ich würde jedem von Ihnen wünschen, dieses Stück so gehört zu haben. Es war zwölf
Jahre nach Kafkas Tod, und dieselben Worte, die er damals gehört hatte, aus demselben
Mund, trafen auf mein Ohr. Wir verstummten beide, denn wir waren uns dessen bewußt
, daß wir eine neue Abwandlung derselben Geschichte erlebt hatten. Dann sagte
Hardt: »Möchten Sie wissen, was Kafka darüber gesagt hat?« Er wartete meine Antwort
nicht ab und fügte hinzu: »Kafka sagte „Das ist die wunderbarste Geschichte, die es
gibt"«. Das hatte ich selbst immer gedacht, und ich denke es noch heute, aber es war
schon merkwürdig, einen solchen Superlativ aus Kafkas Mund zu vernehmen, von jemand
, der für das Sprechen dieser Geschichte mit dem Geschenk seines Schatzkästleins
ausgezeichnet worden war. Kafkas Superlative, wie Sie wohl wissen, sind gezählt.

Ich habe mich gefragt, ob ich Ihnen heute einiges darüber sagen soll, was mir Hebel
bedeutet, und bin zum Schluß gekommen, daß es richtiger und auch angemessener ist,
dieses Zeugnis für die tiefste Wirkung, die Hebel auf die Weltliteratur gehabt hat, an die
Öffentlichkeit zu bringen. Ich trage diese Botschaft 44 Jahre lang mit mir herum, so wie
seinerzeit Ludwig Hardt und vor ihm Kafka das Schatzkästlein.

Ich danke Ihnen für diese Ehrung im Namen Hebels, für die Einladung zu seinem
Fest. Ich danke Herrn Professor Baumann für seine Worte, die mich beschämen.

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