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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
44.1982, Heft 2.1982
Seite: 183
(PDF, 41 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1982-02/0185
ziehers; Obst, Gemüse, Kartoffeln, Geflügel und Kaninchen wurden darin ausgestellt,
und mehr und mehr verwahrloste sie außen und innen.

Ich erinnere mich an ein Konzert, das der Gesangverein, dem auch mein Vater als Baß-
Sänger angehörte, zu Gunsten der Kleinkinderbewahranstalt in der Kirche veranstaltete.
Ich war auch einmal einer der Zöglinge dieser Kinderbewahranstalt, die später Kinderschule
genannt wurde. Das Konzert des Gesangvereins hatte an einem Nachmittag stattgefunden
, denn es gab noch keine Beleuchtung in der Kirche. Zwar war im Jahr 1905 begonnen
worden, die Stadt mit elektrischem Strom zu versorgen, der von Mülhausen -
damals war das Elsaß deutsches Gebiet - über den Rhein herüberkam. Doch die Installierung
brauchte einige Zeit. Vordem gab es in den Häusern Petroleumlampen. Ich entsinne
mich noch bildlich an die emaillierte Petroleumkanne, die wie eine größere Kaffeekanne
aussah, nur besaß sie an Stelle des Henkels einen Tragebügel. Alle paar Tage wurde
ich mit ihr zum Lädeli vom Kaufmann Ernst geschickt, um sie füllen zu lassen. An den
Straßen und Plätzen waren in weitem Abstand voneinander Petroleum-Laternen angebracht
, die allabendlich von einem Mann, der mit einer kleinen Leiter durch die Stadt
ging, angezündet und auch wieder gelöscht wurden. Der Stalten, die heutige Wilhelmstraße
, war steiler als heute und auf beiden Seiten gepflastert. Die schmale Straße war,
wie alle Straßen im Städtchen, bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hinein noch ohne
feste Decke. Auf dem Platz vor der Martinskriche standen mächtige Kastanienbäume,
viel größer als die heutigen. Doch auf den schweren Eisenketten, die den Platz säumen,
schaukelten wie auch heute noch Buben und Mädchen. Diese Ketten waren 1825 im
Hüttenwerk Hausen im Wiesental, Hebels Heimatdorf, gegossen worden. Durch die
Werderstraße dampfte noch bis 1914 das Bähnli, dicke Rauchwolken ausstoßend, fauchend
, pfeifend und bimmelnd in Richtung Weilertal. Im »Schwanen« und »Ochsen«
gegenüber der Kirche kehrten Reisende und Fuhrleute an, Müllemer saßen zusammen
am Stammtisch, die Jassbrüder klopften leidenschaftlich ihre Karten auf den Tisch. Den
Winter über gastierte das Theater Jakobi-Weinstötter im großen »Schwanen«-Saal. Weiter
unten auf der steinernen Brücke über dem Klemmbach saßen an den Sonntag-Vormittagen
Christen und Juden beisammen, um zu handeln.

Ich meine, dies alles gehöre als »Umgebung« zu der Martinskirche in der damaligen
Zeit hinzu.

Dann erinnere ich mich noch lebhaft an eine Missionsausstellung in der Martinskirche
im Jahr 1911. Sie wurde von der Basler Mission veranstaltet; indische Gegenstände und
Missionsliteratur wurden verkauft. Uns Buben interessierten vor allem die Eingeborenen
-Hütten und die geflochtenen oder aus einem Baum geschnitzten Boote.

Eine glückliche Wende für die Kirche brachte die Entdeckung von Malereien im Mai
1913, als Handwerker den alten Leimfarbenanstrich im Turmgewölbe abspachteln wollten
, um die Kirche zu einem Feuerwehrjubiläum ein wenig herauszuputzen. Damals
tauchte erstmals der Gedanke auf, das Innere der Kirche zu einem Festsaal zu gestalten.
Stadtbaumeister Schneider und Konservator Prof. Dr. Sauer, Freiburg, wurden von einer
hohen Woge an Sympathie getragen, doch es fehlte der Stadt an Geld, und bald darauf
machte der Krieg 1914/18 allen schönen Plänen ein Ende.

Russische Kriegsgefangene, etwa 100 bis 120 an Zahl, fanden in der Kirche ihre Unterkunft
. Leiter der Kriegsgefangenenstelle war Eduard Otto Beidek. Die Russen wurden
zur Mithilfe in der Landwirtschaft und im Rebbau eingesetzt. Damals besaß nahezu jeder
Handwerker, Gewerbetreibende oder Kaufmann noch Ackerland oder Reben, die er
in eigener Regie oder mit Hilfe von Taglöhnern umtrieb. So waren die Russen sehr willkommen
, da viele männliche Einwohner zum Heeresdienst eingezogen waren. Man bekam
sie nicht umsonst. Pro Tag kostete ein Mann 2,40 Mark. Zum Vergleich sei erw ähnt,
daß ein Taglöhner damals 4,50 bis 6,— Mark bekam, je nach Art der Arbeit.

Die Gefangenen trugen olivgrüne Uniformen aus tadellosem Stoff und Stiefel aus weichem
Leder, um die sie mancher Einheimische beneidete, der nur auf schwierig zu erhaltendem
Bezugsschein ein Paar Schuhe kaufen konnte. Am frühen Morgen holten Kinder

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