Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
45.1983, Heft 2.1983
Seite: 43
(PDF, 39 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-02/0045
Ferdinand Fischer, Hindenburg-Gymnasium

Am 23. April 1923 wurde ich morgens um 8 Uhr in meiner Wohnung von zwei französischen
Kriminalbeamten verhaftet und erhielt den Ausweisungsbefehl schriftlich überreicht
. »Excitation de la jeunesse« und »propagande antifrancaise« waren die darauf ausgefüllten
Gründe. Die Verhaftung vollzog sich in anständigen Formen; nur meine Weigerung
, zu Fuß mitzugehen, schien einen Augenblick die Lage zu verdüstern. Aber ein
französisches Auto war doch schnell beschafft und meine Hartnäckigkeit kam den am
gleichen Tage ausgewiesenen Kollegen zugute. Ich wurde zum Bahnhof gefahren, das
nötigste Handgepäck wurde nachgebracht. Am Bahnhof selbst mußte ich in Gesellschaft
von gleichfalls ausgewiesenen Eisenbahnern, die bald durch mehrere Kollegen vermehrt
wurden, in einem unglaublich schmutzigen Raum mehrere Stunden unter Bewachung
von Schwarzen und Dunkelbraunen verbringen. Die einzige Unterhaltung bot die Beobachtung
des Unterschiedes zwischen dem anständigen und menschlichen Verhalten dieser
Farbigen, wenn sie mit uns allein waren, und der gegenteiligen Haltung, wenn französische
Vorgesetzte dazu kamen. Freilich entschuldigten sie sich, sobald die Weißen
weggegangen waren. Freilich wurden diese von uns vollkommen als Luft behandelt, die
man weder sah noch hörte. Endlich nach 3 Stunden konnten wir den Zug nach Coblenz
besteigen. Während der Fahrt fiel die scharfe und wenig anständige Bewachung unangenehm
auf, ohne daß sie uns indes im geringsten den Mut rauben konnte. So ging die Fahrt
bis Diez/Lahn, wo wir gegen 4 Uhr ankamen, übrigens ohne das geringste an Verpflegung
erhalten zu haben. Das Drückendste war bis dahin das Gefühl der völligen Machtlosigkeit
gegenüber dem bewaffneten Unrecht. Der Weg nach Limburg, der ersten freien
Station, wurde durch die Hilfsbereitschaft des Limburger Roten Kreuzes sehr erleichtert
, wie überhaupt in Limburg damals noch aufs Beste gesorgt war.

Ohne Beziehungen rechtsrheinisch wandte ich mich zunächst nach Fulda, dann, da
dort kein Unterkommen zu haben war, nach Sigmaringen. Von Fulda ab geriet ich in die
sogenannte Betreuung des Provinzialschulkollegiums in Cassel, über die ich lieber
schweigen will. In Sigmaringen wenigstens wurde mir durch die Einsicht der Schulbehörden
und auch durch die Munifizenz des Fürsten von Hohenzollern manchmal das
Schlimmste abgewandt. Es mag sein, daß Cassel den starken Anforderungen technisch
einfach nicht gewachsen war und die Fülle der Arbeit zu groß war, jedenfalls haben ungefähr
alle ausgewiesenen Philologen, die mit Cassel zu tun hatten, keine angenehme
Erinnerung daran. In Sigmaringen stellte ich mich dem Gymnasium zur Verfügung und
hatte dann immer Unterricht, zeitweilig volle Vertretung, da für erkrankte Herren von
Coblenz8' kein Ersatz zu haben war. Ich rechne die Unterrichtstätigkeit bei den von den
rheinischen ganz verschiedenen schwäbischen Jungens zu den angenehmsten Erinnerungen
meiner unterrichtlichen Tätigkeit. In Sigmaringen waren staatliche, fürstliche Behörden
und die Bürgerschaft gegen uns immer entgegenkommend. Im Winter 1923/24
wollte ich nach Berlin übersiedeln, um am Staatsarchiv arbeiten zu können und um auch
an der Universität mich weiter zu bilden. Daß dies entgegen den feierlichsten Versprechungen
der Regierung bezüglich Wahl des Aufenthaltsortes und der Bezüge unmöglich
gemacht wurde, bildet eine der trübsten Erinnerungen an diese Zeit. Uberhaupt will ich
auf die geldlichen Schädigungen, die uns in der Ausweisungszeit erwachsen sind, nicht
näher eingehen. Sie stehen in offenem Widerspruch zu Versprechungen, die bei Beginn
des Ruhrkampfes gemacht worden sind, ohne daß sie verlangt worden waren. Daß manche
oder auch viele ihre Ausweisung finanziell ausgenutzt haben, ist zuzugeben, berechtigt
aber an sich die Regierung nicht zu Maßnahmen, die auch uns schädigten und zum
Teil heute noch schädigen____

43


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-02/0045