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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
45.1983, Heft 2.1983
Seite: 51
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-02/0053
Der Staat von Weimar war institutionell gefestigt. Seine Verfassung gilt noch heute in
der westlichen Welt als Muster einer liberalen, einer demokratisch-republikanischen
Verfassung.

Dieser Staat zerfiel nicht durch einen Staatsstreich, nicht durch eine gewaltsame Aktion
der antidemokratischen Kräfte um Hitler. Sein Zerfall war ein Prozeß einer stufenweisen
Zersetzung. Er gibt den Beweis - und das soll uns eine Lehre der Geschichte
sein -, daß auf legalem Wege, auf dem Rücken einer Demokratie unter Benutzung demokratischer
Spielregeln, eine Staatsordnung entstehen kann, die der Demokratie diametral
und feindlich gegenüber steht. Bei der Betrachtung der Machtergreifung Hitlers
kommt natürlich auch der pseudolegale Charakter durch die laufende Verletzung rechtsstaatlicher
Prinzipien durch die Träger der Macht in dieser Demokratie hinzu.

Der deutsche Staatsrechtler Rudolf Smend hat einmal eine gute Charakteristik des
Deutschen gemacht. Er stellte die »Hauptmängel des Deutschen« heraus, Mängel, die
nicht nur Eigenschaften des Bürgers der Weimarer Republik waren, sondern die es heute
noch - leider - sind, wie jeder kritische Beobachter der politischen Szene der Bundesrepublik
feststellen kann.

Die Smend'schen Hauptmängel sind

- einmal die unpolitische Staatsenthaltung, die politische Abstinenz und mangelnde
Identifikation mit dem Staat, mit seinem Staat,

- zum andern die unpolitische Machtanbetung, die nach einer ordnenden Macht, nach
einem Führer ruft.

Vor diesen so unpolitischen, noch von kaiserlichen Zeiten und Preußens Gloria träumenden
Deutschen tritt nun ein Mann mit einer Bewegung, deren ideologischer Unterbau
alle anzusprechen vermag, weil es ein Ideenkonglomerat ist, eine Weltanschauung
ist, die nicht aus einer Wurzel entsprießt, sondern die durch ihre vielen Wurzeln eine ungeheuere
Spannweite hat, die fast jeden anspricht.
Sie ist gegen den Kapitalismus, gegen den Kommunismus.
Sie ist gegen das Judentum, gegen den Liberalismus.
Sie ist gegen die Novemberrevolution, gegen den Parlamentarismus.
Sie ist gegen den Ultramontanismus, gegen den Internationalismus.
Sie ist gegen den Versailler Vertrag.

Dieser Ideenbrei, dieses Sammelsurium von -ismen, trifft den unpolitischen Deutschen
zu einem Zeitpunkt, wo Politik, Wirtschaft und Geisteswelt in Bewegung geraten
sind und dies - nebenbei - nicht nur in Deutschland.

Der Aufruf der Hitler'schen Reichsregierung nach der Machtergreifung spricht daher
ganz bewußt auch alle Kreise an:

»Uber 14 Jahre sind vergangen seit dem unseligen Tage, da, von inneren und äußeren
Versprechungen geblendet, das deutsche Volk der höchsten Güter unserer
Vergangenheit des Reiches, seiner Ehre und seiner Freiheit vergaß und alles dabei
verlor.

Seit diesen Tagen des Verrats hat der Allmächtige unserem Volke seinen Segen
entzogen. Die nationale Regierung wird es als ihre oberste Aufgabe ansehen, die
geistige und willensmäßige Einheit unseres Volkes wiederherzustellen.
Sie wird das Christentum als Basis unserer gesamten Moral in Schutz nehmen.«
Reich, Ehre, Freiheit, Verrat, Einheit, Christentum - alles und alle sind damit angesprochen
.

Hitler und der Nationalsozialismus waren darum nicht eben bloß ein fataler Zufall
oder ein dummes Versehen. Was Deutschland widerfuhr, war eine geistesgeschichtliche
Erscheinung, war der Abschluß von Strömungen wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher
Art, von nationalen Mythen und Ideen, die in den Geistern nicht nur des
deutschen Volkes jahrzehntelang gärten und die dann uns Deutschen am 30. Januar 1933
zum Schicksal wurden. -

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