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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
45.1983, Heft 2.1983
Seite: 91
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am Rande verfolgt und teile in dieser Beziehung die Gedanken meines Freundes, Willi
Ferdinand Fischer, in seinem Aufsatz »Apropos Hermann Burte«. Wer sich für diese besondere
Seite Burtes interessiert, dem ist die Lektüre wärmstens empfohlen. Hier kann
ich nicht näher darauf eingehen. Jedenfalls glaube ich, daß wir noch mehr zeitlichen Abstand
nötig haben, um ohne Vorbehalte werten zu können.

Ich will Ihnen auch nicht verschweigen, was mich beim »Wiltfeber« positiv beeindruckt
hat: Das war die klare Erkenntnis vom Zerfall des Dorfes, des alten bäuerlichen
Dorfes, wohlgemerkt, und von der Gefahr der Verstädterung. Auch dazu möchte ich Ihnen
ein kurzes Beispiel geben: Wiltfeber ist unterwegs und sucht seine Heimat, und Hermann
Burte beginnt dies so zu schildern:

»Und er raffte sich auf und ging den Weg nach dem Dorfe. Und ließ seine Augen
umgehen über Matten und Gärten, Häuser und Scheunen, Brunnen und Rinnen
, Bäume und Reben: alles Gewachsene und alles Gebaute, und da stiegen ihm
Bilder in das Hirn, die gefielen ihm nicht, sondern taten ihm weh.

Verkotet und verschlammt waren die Rinnen, grasig die Höfe, wacklig und
lopperig die halbverfaulten Zäune; die steinernen Pfosten hingen schräg und hielten
sich mehr am Hage, als sie ihn hielten; die Gartenwege waren grasig und der
Buchs lückig und ungeschnitten. Selten nur waren die Gelände schön abgeteilt
und bepflanzt; meistens nur obenhin, ungefähr und planlos.

Die Immenhäuser waren leer und die Gartenhäuser verfallen und ungepflegt.
Holperige Pfade führten zu den Häusern, winsche ausgetretene Staffeln zu den
Haustüren mit ihren zersprungenen Füllungen, ihren staubigen Unterteilen, ihren
ungeputzten Messinggriffen. Läden hingen schräge in ihren Angeln und fehlten
an vielen Fenstern ganz: wo kommt nur so ein Laden hin, wer hat ihn aus den
Angeln gehängt?

Vor den Fenstern stehen nur selten Blumen; aber meistens in alten Kochhäfen,
in Heringsbüchsen, in alten Kistchen. Von den Giebeln blättert der Verputz ab;
ausgerissen waren da und dort die Reblandern; nur die blaugrüne Farbe der
schwefligen Kupferbrühe zeigte noch, an welcher Arznei die Pflanzen gestorben
waren.

Und da stand, o trostloser Anblick, ein Bauernhaus mit ganz geschlossenen
Läden hinter einer ganz vergrasten Hofstatt; die Schmehlen wuchsen bis an die
Haus- und Stalltüre und bis ins Katzenloch am Scheunentor. Wo sind die Leute
dieses Hauses hingekommen? Und wenn sie gestorben sind, warum kommen
keine andern und bauen das Gut? Diese Menschen sind in die Stadt, in die steinerne
Wüste gezogen; dort sehen sie keinen ganzen Himmel, atmen keine reine
Luft, haben keine hilfreichen Nachbarn; es ist nicht wie hier, im Wachstum aller
Dinge, wo über Nacht das Huhn Eier legt, die Kuh kalbt, der Salat wächst, die
Frucht reift, wo der Mensch, in stetem Anblick stetigen Werdens, zur Verehrung
der ZEUGUNG, dieser Urmutter allen Seins, getrieben wird und wahrer
Mensch, Sohn der Erde, Helfer der Natur, Förderer der Menschheit ist; warum
sind die Leute weggezogen in die steinerne Verwesungsstätte, in die zementene
Menschenschlingmaschine? Da leben sie, weiße Sklaven; von befrackten Narren
über ihre Verzweiflung hinweggetäuscht; verhockt, verschweißt, vergiftet; erfüllt
von einem wütenden Wunsch nach Rache an irgend wem für irgendwas; in
ständiger Sorge Tag und Nacht; von niemandem geachtet; in einer Luft, welche
ihnen aus dem Brustkasten die Lungen reißt und ihre Augen hohl macht wie leere
Fenster; und leider ist nirgends ein Befehl, der sie zu ihrem Glücke, zu ihrer Gesundheit
zwingt; nein, das Gesetz schafft ihnen das Recht auf die Aussicht, im
dritten Geschlecht ausgestorben zu sein. Man läßt sie in die Verwesungsstätten
hineintaumeln, wie die Fliegen in das Seifenwasser über dem Zucker: einen süßen
•Rausch bezahlen sie mit Siechtum und Tod.«

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