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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 4
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-01/0006
Tatsächlich haben die Veränderungen der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit
im Gefolge der beiden Weltkriege nicht nur den Begriff, sondern auch die zugrundeliegende
Realität fragwürdig werden lassen. Dies ist nicht zuletzt die Folge sozialer
Strukturveränderungen in Stadt und Land, die im Zeichen einer expansiven Industriegesellschaft
Unterscheidungen siedlungsgeographischer Art immer bedingter, ihre Abgrenzungen
immer fließender werden lassen. Die ökonomische Forderung nach sozialer
und beruflicher Mobilität gewährt überkommenen Vorstellungen des »Bodenständigen«
kaum noch einen Raum. Diese gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen
aber haben auch den Vorstellungen von Provinzialität und Urbanität ihren ursprünglichen
, kulturgeographischen Sinn genommen. Die Folgen für die zeitgenössische Literatur
hat vor einigen Jahren eine Diskussion in der Zeitschrift Akzente erörtert; ja schon
auf der Nürnberger Podiumsdiskussion zum Thema »Die Provinz« aus dem Jahre 1964
hat man als Resümee das Ende der »Heimatliteratur« verkündet.3^

Was aber wurde dabei unter »Heimatliteratur« verstanden? Bezeichnenderweise entsprach
der Ideologisierung und der daraus folgenden Wertverzerrung des Heimatbegriffs
schon in der Vorgeschichte des sogenannten »Dritten Reiches« auch eine Verengung
und Qualitätsminderung seiner literaturhistorischen Ausprägung. Nicht mehr Hebel
, Gotthelf, Keller, Raabe, und schon gar nicht Stifter bestimmten Geltung und Rang
einer möglichen Heimatliteratur —; ebenso wenig aber auch Schriftsteller wie Leopold
Kompert, Karl Emil Franzos oder Joseph Roth, die das ostjüdische Dorf- und Kleinstadtleben
der deutschen Literatur erschlossen haben. Es waren vielmehr die »völkisch«
gesinnten Provinzautoren der Jahrhundertwende, die, durch den Gedankenwust des
»Rembrandtdeutschen« Julius Langbehn und des Arierapostels Paul de Lagarde eines
klarsichtigen Blicks auf die regionale Wirklichkeit beraubt, die Begriffe »Heimatliteratur
« und »Heimatkunst« prägten und für sich beanspruchten: Adolf Bartels, Gustav
Frenssen, Friedrich Lienhard, Hermann Löns, später auch Hermann Burte und andere
.4) Das geschah zu einer Zeit, da sich die soziologischen Grundlagen dessen, was die
»Heimatkunst« festzuhalten gedachte, bereits aufzulösen begannen. So entstammt der
Begriff einem kulturrückschntthchen Widerwillen gegen die ökonomische Entwicklung
einer mitteleuropäischen Nation, deren Lebensfähigkeit notgedrungen vom Wachstum
ihrer Industrie abhing. Wer dieser Entwicklung, die natürlich auch eine Urbanisierung
der Literatur seit dem Naturalismus zur Folge hatte, mit den Schlagworten einer irrealen
Agrarromantik zu begegnen suchte, mußte schließlich zu der demagogischen Zwangsvorstellung
vom »Volk ohne Raum« gelangen.31 In jedem Falle verfehlte die agrarroman-
tische »Heimatkunst« die Sache, um die es ihr zu gehen schien; sie blieb ideologischen
Wahnvorstellungen verhaftet. Robert Minder, einer ihrer unbestechlichen Kenner, folgerte
daher: »Die rassisch ausgerichtete 'Heimatkunst', wie sie in Deutschland um die
Jahrhundertwende aufzukommen begann, war keine Neuerung, sondern Regression«.6^

II.

Um die Jahrhundertwende aber begann auch der junge Rene Schickele zu schreiben -
jüngerer Landsmann Friedrich Lienhards, in der südwestlichen Provinz des damaligen
»Reiches«. So rasch er auch aus ihren beschränkten Verhältnissen herauswuchs, sein
Werk blieb immer wieder auf den Raum seiner Herkunft bezogen, verstanden jedoch als
Spiegel oder als Modell größerer Zusammenhänge und weiterreichender Konflikte. Die
Frage drängte sich auf, ob sich an seiner Persönlichkeit und seiner Dichtung eine andere,
weltoffene Weise von Heimatdichtung (um dieses Wort vorläufig beizubehalten) erfahren
ließe, die einen differenzierteren und unsentimentalen Begriff von »Heimat« zur
Voraussetzung haben müßte.

Schon der eingangs zitierte Textausschnitt vermittelt hieraus erste Antworten. Der
Dichter überblickt das Land, in dem er geboren wurde, in dem er aufwuchs, und in des-

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