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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 11
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-01/0013
In den ersten beiden Jahren seines Exils reflektiert Schickele diese Fragen immer wieder
. Noch schärfer als während des ersten Weltkriegs ist er zu einer Uberprüfung seines
eigenen, zwischennationalen Standortes gezwungen. »Im Grunde«, so gesteht er nun
mit einer schonungslos gewordenen Einsicht in einer Tagebucheintragung vom Pfingstmontag
1934, »habe ich Deutschland stets nur 'von außen' gesehn statt 'von innen', so
lange ich denken kann, und dies trotz aller Bemühungen, mich ihm einzuverleiben. Man
wird nur einmal geboren.«44' Kurz zuvor hatte ein französischer Kritiker, Pierre Fervac-
que, in einer Rezension des Essaybandes Die Grenze diese ambivalente Stellung Schickeies
in einem eindeutigen Sinne auszulegen versucht, als er schrieb: »M. Rene Schickele
n'est plus aujourd 'hui en Allemagne. ... Exile? Nullement. Ii ne Test pas puisqu 'il est
Alsacien et qu'il est en France. ... Nous rendions gräce ä Hitler s'il avait rendu M. Rene
Schickele ä l'Alsace et ä la France.«43' In der Reaktion des Dichters auf diesen Artikel im
Temps vom 20. Mai 1934 regte sich nochmals der alte, schwankende »Hans im Schnakenloch
«, als er dazu bemerkte: »Seltsam, wie dieser mir unbekannte Mensch meinen Gemütszustand
errät und ihm freundlich entgegenkommt. ... Aber ... - ganz so einfach liegen
die Dinge auch heute nicht. Oder vielleicht doch?«46'

So vielschichtig und verschlungen jedoch die Frage der nationalen Identität dieses
welthaften »elsässischen Heimatdichters« auch im provencalischen Exil bleiben mußte:
mit Gewißheit konnte er jedenfalls bekennen, daß er, im Gegensatz zu den übrigen
»deutschen Oppositionellen« der politischen Linken, zu deren Kreis er gezählt wurde,
nie ein »starkes Reich« gewünscht hatte - welches er in jedem Falle für »bedrohlich«
hielt -, sondern »ein ästhetisches Deutschland«.4 ' Diesem aber fühlte er sich, auch als
der elsässische Franzose seiner letzten Lebensjahre, zugehörig; und daher teilte er auch
die Not der literarischen Emigration, zu der er sich an einer anderen Tagebuchstelle bekannte
: »Wir alle aber, die wir hier sind, hängen letzthin von unserer Gemeinschaft mit
Deutschland ab, und bestände diese auch nur in Widerspruch.«48'

Wie Thomas Mann, so versucht auch Schickele im ersten Jahr seines Exils noch publizistisch
nach Deutschland hineinzuwirken, eine geistige »Gemeinschaft« mit den zum
Verstummen gezwungenen Gleichgesinnten so lange als möglich aufrechtzuerhalten.
Denn er geht zunächst noch von der Meinung aus, »daß wir draußen in der Etappe sitzen
und das innere, fast unzugänglich gewordene Deutschland die Front ist, und daß deshalb
alle, die es noch können, in Deutschland schreiben müssen - solange es ohne sacrificium
intellectus geht. Jede nicht 'gleichgeschaltete' Zeile ist für unsere Freunde dort ein Labsal
- die einzige, die sie erreicht!«4 '

Daß Schickele auch in der Emigration ebensosehr zwischen den Nationen wie zwischen
den extremen Parteiungen steht, bezeugt indessen keineswegs eine mangelnde
Entscheidungsbereitschaft, sondern vielmehr seine kritische Sensibilität und seine moralische
Unbestechlichkeit. In diesem Sinne deutet er noch am L 10.36 in einem Brief an
den dänischen Literaturkritiker Svend Borberg sein persönliches Emigrantenschicksal
:50'

»Ich lebe in mehr als einer Weise im Exil; französischer Staatsangehöriger und deutscher
Dichter, im Elsaß wurzelnd, ohne dort leben zu können (ein Krähwinkel, wie alle
Militärprovinzen!), ehemaliges Mitglied der deutschen Akademie, der bei Hitlers
Machtergreifung demissionierte, worauf meine Bücher in Deutschland als gegen den
Geist des Nationalsozialismus verstoßend nicht nur verboten, sondern auch gleich beschlagnahmt
wurden, aber weder Jude noch Marxist, sondern lediglich einer jener verbissenen
Pazifisten, wie man sie heute auf dem Kontinent in keinem Lager duldet, ohne
Rückhalt an eine Partei - ein Freischärler in jeder Beziehung ...«

In diesen Zeilen klingt auch der Grund an, weshalb die »Rückkehr« nach Frankreich
den Dichter nicht ins unmittelbar heimatliche Elsaß zurückgeführt hat, obwohl, fällt
ihm auch nur ein Heft der Vie en Alsace in die Hände, sein »Heimweh« wieder geweckt
wird - »das mich nie verläßt, aber meist nur im Traum und Halbschlaf Gestalt gewinnt
«.31'

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