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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 12
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-01/0014
So haben die menschlich-familiären wie die zeitgeschichtlichen Geschehnisse auch
Schickeies Verhältnis zur »Heimat« verändert.

VII.

Die äußere Entwurzelung, die materielle Notlage, die menschliche Isolierung, der
Verlust von publizistischer und kritischer Resonanz: diese bitteren Erfahrungen des
Exils verschaffen indessen dem Dichter Schickele, inmitten der äußeren Einschränkungen
, eine innere Freiheit und Weite, eine Erfahrungstiefe und künstlerische Gewis-
sensschärfung, aus denen seine eigentlichen Meisterwerke herauswachsen. Es ist das
Verdienst Franz Büchlers, mit Entschiedenheit die Bedeutung von Schickeies Spätwerk
herausgestellt zu haben, dem zu Schickeies Lebzeiten jene deutsche Öffentlichkeit, die
seiner bedurft hätte, versagt bleiben mußte.32 Dieses Werk hat sich aus einer äußerlichen
Heimatbindung gelöst; es ist überregional-europäisch geworden, auch und gerade dort,
wo es auf eine der geschichtlich-mythischen Urlandschaften dieses Kontinents bezogen
wird: auf die Provence.

Das gilt vor allem für den ersten Roman, der im Frühjahr 1933 dort entsteht, und den
Schickele sogleich als sein »bestes Buch« empfindet: Die Witwe Bosca.5i> Seine Handlung
spielt in einem Küstenstädtchen der Provence, seine Personen sind Kinder dieser
Landschaft. Thomas Mann meint in seiner Einführung zur französischen Ausgabe, die
Landschaft des französischen Südens sei »die eigentliche Heldin dieses Romans«.34- Gewiß
trifft dies eine ins Auge springende, die Sinne ergreifende Eigenschaft des Buches;
die Provence wird schon mit dem ersten Satz des Romans, der später leitmotivisch abgewandelt
wiederkehrt, in unnachahmlicher Weise evoziert:

»Die Jahreszeiten der Provence wechseln leise in der Nacht. Du siehst, du hörst sie
nicht kommen. Eines Morgens wachst du auf und hast einen neuen Schatz ...«

Genügt aber Manns Deutung zum Verständnis des Romans? Schickele selbst hat, als
er dessen erstes, spontanes Briefecho auf sein neues Buch erhielt, und auch im Hinblick
auf Heinrich Manns Urteil vom »anmutigen, heiteren Geist«, in seinem Tagebuch bemerkt
: »Sie ahnen beide nicht, was ich diesen Sommer durchgemacht habe«.35' Er selbst
nannte seinen »provencalischen Roman« ein »Buch des Zornes und der Verzweiflung
«.36' Den Grund für die Vielseitigkeit der Empfindungen und Urteile, welche dieses
Buch auszulösen vermochte, gibt Schickele bereits in der erwähnten Aufzeichnung vom
3.12. (1933), wo er sein eigenes Werturteil zu begründen versucht: »Das objektivste
meiner Bücher. Obgleich alles darin ist, was ich an Gram, Zorn und Hoffnungslosigkeit
im Sommer 33 erlebt habe. Auf sehr geheime Weise bekennerisch wie kein andres meiner
Bücher. «57)

Diese »Objektivität« des Buches bestimmt seinen Rang. Das erlebte Geschehen der
Zeit wird hier nicht mehr, wie noch im Erbe am Rhein, unmittelbar mit der Romanhandlung
verwoben, sondern eingeschmolzen in menschliche Entwicklungen, Verhaltensweisen
und Leidenschaften, welche die Verstörtheit eines ganzen Zeitalters widerspiegeln
und sie auf ihren menschlichen Kern zurückführen. Daher konnte Schickele seinen
Roman, in dessen Heldin er die zwanghafte Ausbreitung des Dämonisch-Bösen zu verkörpern
wußte, mit künstlerischer Berechtigung als »eine (etwas hermetische) Auseinandersetzung
mit dem in Mord und Tod verstrickten Europa« bezeichnen.58'

Dennoch ist das Buch, ausgewogen in seiner Gestaltung und voll künstlerischer Gerechtigkeit
, in einer beschwingten Prosa geschrieben, welche die Schickeies Stil eigentümliche
»Heiterkeit« nicht verloren hat. Denn der Dichter weiß - und er notiert sich
diese, für sein Schaffen wie für seine Persönlichkeit aufschlußreiche Einsicht während
der Arbeit an dem Roman -: »Schwermut wird erst produktiv, wenn eine Messerspitze
Heiterkeit hineinfällt, und wäre es nur die unbewußte Lust des Gestaltens.«59)

Ähnliches läßt sich auch für den letzten Roman sagen, den Schickele noch in seinen
provencalischen Jahren, gekennzeichnet vom Leiden an der Zeit wie vom eigenen kör-

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