Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 15
(PDF, 35 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-01/0017
gläubig, wie der große Pasteur es zu sein wünschte, mit der Kraft und der Ausdauer eines
bretonischen Bauern. Ich glaube an unser Recht und unsern Sieg.«

Rene Schickele starb am 31. Januar 1940 in seinem letzten Refugium in Vence. Er hat
den Zusammenbruch seines mütterlichen Frankreichs im Sommer desselben Jahres nicht
erleben müssen, nicht mehr die von Mord und Zerstörung überquellenden Jahre, die bis
zu dem von ihm erwarteten Sieg seiner Sache noch verstreichen mußten. So blieb ihm
auch das Schicksal seiner in Frankreich lebenden Gefährten der deutschen Emigration
erspart: erneute Flucht oder Verhaftung, Selbstmord in verzweifelter Lage oder Auslieferung
an die nazistischen Häscher. Dem Verlust nicht nur der zweiten, sondern jeder
irdischen und geistigen Heimat kam der eigene Tod zuvor.

VIII.

Wir wissen heute, daß auch diese Erfahrung - die Möglichkeit, ja der Zwang des äußeren
Verlustes - im historischen Geflecht von Ursache und Wirkung, von Schuld und
Verstrickung, von Ubermut und Untergang zum Erlebnis von »Heimat« gehört. In der
Umkehrung und Folge einer verhängnisvollen Nationalisierung und Ideologisierung des
Heimatbegriffs ist dieses Schicksal zu einem Grunderlebnis unseres Jahrhunderts geworden
. Bedeutende Dichter des deutschen Sprachraums haben es vorhergesehen oder,
wie etwa Hermann Hesse oder Rainer Maria Rilke, persönlich vorweggenommen. Ja,
den Zusammenhang von Heimatverlust und Freiheitsbewahrung, den Vorrang einer
freiheitlichen und demokratischen Lebensform vor einer heimatgebundenen Seßhaftigkeit
haben bereits im 19. Jahrhundert viele der politisch bewußten deutschen Schriftsteller
von Johann Georg Forster und Georg Weerth, von Heine und Büchner bis zu Her-
wegh und Freiligrath mit ihrem Exil bezeugt. Doch niemals zuvor wurde fast der gesamten
qualitativen Elite einer Nationalliteratur die Emigration, die Flucht, die Verstoßung
zugemutet, wie dies nach 1933 geschah.

Alle Angehörigen der deutschen literarischen Emigration haben, unter den schwierigsten
ökonomischen, sozialen und psychologischen Bedingungen, die Not des Exils und
die Entbehrung der Heimat, von der sie doch mit ihrer Sprache und in den Verwandlungen
ihrer Einbildungskraft zeugten, fruchtbar zu machen verstanden. Schickele, der als
der weltoffene »Heimatdichter« des oberrheinischen Grenzlandes, seiner Menschen,
seiner Landschaft ins Exil gegangen war, schuf gerade dort, in der aufgezwungenen Ab-
scheidung von Publikum, Kritik und vertrauter Heimatumgebung, seine Meisterwerke.
Und er schrieb zugleich jene Anmerkungen zur Zeit nieder, denen heute ein bedeutender
dokumentarischer Wert zukommt, als moralisch integre und trostreiche Zeugnisse deutscher
Sprache und deutschen Geistes aus den Jahren ihrer tiefsten Verfinsterung. Schik-
kele und seine literarischen Gefährten des deutschen Exils haben endlich auch in ihrer
Lebenshaltung die Entbehrung von Heimatboden und Heimatlaut mit Sinn zu erfüllen
vermocht: indem sie, ihrer Zeit und Umwelt vorauseilend, Künder einer größeren und
weiteren Heimat wurden, Europäer zunächst, schließlich verantwortliche Bürger einer
als unteilbar empfundenen Welt.

Fassen wir die Ergebnisse unserer Betrachtungen zusammen:

Wenn Rene Schickele, in einem weitesten Sinne, als »politischer Dichter« zu gelten
hat, so darf dies nicht in einem vordergründigen und - innerhalb seines Werkes - »parteilichen
« Sinne verstanden werden. Schon von seinem Temperament und von seiner
Sprach-Sinnlichkeit her ist gerade er in keine »abstrakte« Typologie einzuordnen. Stets
blieb er vor allem ein Dichter, dem künstlerischen Ausdruck verpflichtet, nicht aber dem
Stil der theoretischen Abhandlung oder des demagogischen Pamphlets. Auch seine politisch
wirkenden Unternehmungen, etwa die Herausgabe und die Gestaltung der »Weißen
Blätter« während der Kriegsjahre, waren literarischen Ursprungs und Charakters.
Dennoch hatte alles, was er schrieb, wie auch alles, was er, von Entscheidung zu Ent-

15


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-01/0017