Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 1.1984
Seite: 159
(PDF, 35 MB)
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die sich doch nur zum Teil erfüllten, ein anderes Mal mit heimlichem Bangen, das sich als
unbegründet erwies. Die Messe führte ihn wenigstens jedes Mal mit alten Freunden zusammen
, und die Achtung, die ihm begegnete, hob seine Stimmung. Die Qualität seiner
Ware wurde immer voll anerkannt, aber eben nicht immer gleich eifrig begehrt. Die
technischen Neuerungen, mit denen er sich so nachhaltig befaßte und die er nur mit äußerster
Sparsamkeit erproben durfte, bewährten sich immer mehr: es bestand sichere
Aussicht auf eine namhafte Verkürzung des langen, risikoreichen Gerb Verfahrens. Die
ersten Proben fielen glänzend aus, und die Qualität des Leders litt nicht im mindesten,
während sich die Kosten senkten. So kam er zum letzten Mal von Frankfurt freudigen
Herzens, aber seltsam müde zurück. Er war lange schon ein ernster Mann geworden.
Fast nur an Sonntagen brach seine beseelte Heiterkeit durch, wenn er mit seiner Schar
wanderte. In jungen Tagen muß er, das bezeugten uns die treuen alten Basler Freunde,
ein froher Geselle gewesen sein.

Der Freundeskreis der »sieben Schwaben«, zu dem der Kleinbasier Färber Achilles
Lötz und der Lederhändler Andreas Gessler gehörten, dieser der Treueste der Treuen, jener
der genialste und originalste Eigenbrötler, wie er nur in der »kleinen Großstadt«
denkbar war. Sie waren alle von Herzen freisinnig und befaßten sich mit großen grundsätzlichen
Fragen des sozialen Lebens. In der reichhaltigen kleinen Bibliothek des Vaters
standen Kant und Hartmann, daneben nahmen Henry Georges Bodenreformschriften
einen Ehrenplatz ein. Aber wenn die alten Schriftsteller fehlten, so war doch Goethe zu
ihrer Vertretung da, und W. Wackernagel bezeugte das Interesse an der deutschen Dichtung
, die beim Vater (und bei der Mutter) selber immer wieder durchbrach. Ein kleines
Heftchen »Zwischen Sturm und Regen«, von der Mutter nach seinem Tod gesammelt, ist
davon übrig geblieben. Seine Schulung war stark humanistisch beeinflußt gewesen, und
sein theoretisches Interesse blieb immer rege, auf den verschiedensten Gebieten. So wurden
auch die Künste verehrt, so wenig sie ihm praktisch zugänglich waren. Hausmusik
wurde, mit den einfachsten Mitteln, gepflegt; er spielte neben der Geige auf dem Waldhorn
, das er in der Wanderzeit kunstgerecht stopfen gelernt hatte. Böcklin bewunderte
er, und E. Stückelberg war ihm ein väterlicher Freund, aber im Haus hingen keine gemalten
Bilder, außer ein paar von der Hand W. Vigiers, der mit der Mutter befreundet
gewesen war; dafür schöne Stiche von F. Weber und anderen, von denen ich mich nicht
mehr trennen kann. Von Jakob Burckhardt hörte ich früh.

Aber als ich aufwuchs, war er meist still, und wir sahen ihm seine Bedrücktheit an,
wenn er in der Mitte des Nachmittags im Eßzimmer seine Flasche Bier zu sich nahm und
seine Zigarre rauchend durchs Fenster in den Himmel schaute. Zu meinen schrecklichsten
frühen Erlebnissen gehört es, daß ich einmal von einem ernsten Gespräch der Eltern
geweckt wurde. Da war er der Verzweiflung nahe und machte der Mutter die bittersten
Vorwürfe über ihr eigenes Verhalten. Sie antwortete mit Festigkeit, brach aber doch zuletzt
in kummervolles Weinen aus, und ich belauschte alles, mit Angstschweiß bedeckt.
Am Morgen wagte ich kaum aufzustehen, aber als ich in die Eßstube trat, waren meine
Eltern wie gewöhnlich und blieben so. Erst nach manchem Tag erzählte ich der Mutter,
was mir geschehen war, und wurde durch ihr Vertrauen belohnt.

Als er im Sommer 1889 von Frankfurt heimkehrte, mußte er sich, kaum recht angekommen
, ins Bett legen und stand nicht mehr davon auf. Die Mutter erzählte, er sei zu
Fuß von Lörrach her zur Mittagsstunde, als seine Gerber zum Essen gegangen seien, am
Garten mit ihnen zusammengetroffen. Da habe er jedem die Hand gegeben und sich
nach dem Stand der Arbeit erkundigt; sie hätten ihm ihre Freude über seine Rückkehr
bezeugt; daß die aufrichtig gewesen sei, habe er dann besonders daraus gesehen, daß sie
sich während seiner Abwesenheit im Hof der Gerberei alle zusammen für ihn hätten
photographieren lassen. Sie sahen ihn da zum letzten Mal, bevor sie an sein Totenbett
traten.

Ich erinnere mich noch, wie ich die Nachricht vom Tode des Kaisers Friedrich in seine
Krankenstube brachte; sie bewegte ihn tief, er hatte auf dessen Regierung große Stücke

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