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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
47.1985, Heft 1.1985
Seite: 109
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1985-01/0111
Altkatholiken und Auswanderung

Zum Abschluß seien noch zwei Entwicklungen aufgezeigt, die miteinander in keinem
ausdrücklichen Zusammenhang stehen. Die erste betrifft die Entstehung des in Deutschland
Altkatholizismus und in der Schweiz Christkatholizismus genannten kirchlichen
Phänomens. Etwas zu rasch führt man es auf die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit
durch das Erste Vatikanische Konzil (1870) zurück. In Wirklichkeit waren
gerade im ehemaligen Vorderösterreich josephinisch-wessenbergianische Auffassungen
lebendig geblieben. Der freisinnige Katholizismus, dem sie zu Gevatter standen, konnte
sich mit der schon lange vor dem Konzil sichtbaren ultramontanen Richtung nicht anfreunden
, Kulturkämpfe in der Schweiz und in Baden trugen das ihre bei. Daß der liberale
Staat - nördlich und südlich des Rheins - lieber einen liberalen als einen konservativen
Katholizismus sah, ist offensichtlich. Uns beschäftigt hier nur die Frage, wie weit es bei
der Entstehung des Alt- bzw. Christkatholizismus zu Grenzüberschreitungen gekommen
ist. Die romfreien Gemeinden in Säckingen (1873), Waldshut (1874) und Zell im
Wiesental (1875) scheinen aber nicht in einem erkennbaren Gründungszusammenhang
mit den vor allem im Fricktal und in Ailschwil sich bildenden gleichgerichteten Gruppierungen
zu stehen, obwohl Kontakte nachgewiesen sind. Allenfalls wirkte die aus Vorarlberg
stammende und 1788 im Kanton Solothurn eingebürgerte Industriellenfamilie Bally
über den Rhein hinweg, denn sowohl Karl Franz Bally (1821-1899) in Schönenwerd als
auch Otto Bally (1839-1908) in Säckingen förderten ihre papstunabhängige Kirche nach
Kräften.

Ein wesentlich umfassenderes Thema, das hier aber nur noch gestreift werden soll, bilden
Glaube und Kirchlichkeit der Zehntausende von Badenern, die vor allem bis zum
Ersten Weltkrieg in die Schweiz und hier vor allem in den Kanton Basel-Stadt einwanderten
. Vermutlich wirkten, wenn auch unbewußt, die liberalen Traditionen nach. Sonst
hätten Akklimatisierung und Integrierung nicht so problemlos geschehen können, wie
dies der Fall war. Liberal kann sowohl tolerant als auch indifferent bedeuten. Es soll
denn auch zu grotesken Verbindungen von republikanischer mit monarchistischer Begeisterung
, von marxistisch motiviertem Atheismus mit pietistischer Frömmigkeitspraxis
und von Einsatz für Arbeiterrechte mit Servilität gekommen sein. Doch ist das Thema
'Anpassungsfähigkeit von Einwanderern' nicht auf das badisch-baslerische Grenzgebiet
beschränkt. Heute, nach zwei Weltkriegen mit langen Vor- und Nachwirkungszeiten
, sorgen Bevölkerungsmobilität, Ökumene und Regiogedanken wieder vermehrt für
Uberschreitungen von Staats- und Kirchengrenzen. Für die Kirchen als Sinnträger bilden
die Grenzen heilsame Anhaltspunkte. Ihre Undurchlässigkeit wie ihr Fehlen wären
so oder so die Mißdeutung eines dem Menschen gegebenen Gleichnisses.

Literatur (Auswahl)

Erich Beyreuther: Die Erweckungsbewegung, Göttingen 1963
(Die Kirche in ihrer Geschichte 4/R 1)
Otto Deisler: Inzlingen, Inzlingen 1958
Otto Deisler: Lörrach-Stetten, Inzlingen 1963

Evangfelischer] Pfarrverein in Baden: Kirche und Heimat, Karlsruhe 1928

Theo Gantner: Volkskundliche Probleme einer konfessionellen Minderheit. Dargestellt an der römisch
-katholischen Diaspora der Stadt Basel, Winterthur 1970
Karl Gauss: Basilea reformata, Basel 1930

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