Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
48.1986, Heft 1.1986
Seite: 128
(PDF, 33 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1986-01/0130
Es ist ein weiter, langer, mühevoller Weg geworden, den Karl Gerstner beschreitet.
Noch bis vor 8 Jahren die tägliche Arbeit im Atelier bei K.B.C. und das eigentliche, das
ihm wesentliche Anliegen nur in der knappen Freizeit verwirklichen zu können. Es
drängt ihn dann hinaus in die Natur, in die Landschaft zwischen Schwarzwald und
Rhein. Hier nur scheint er frei atmen zu können, hier schlägt sein Herz im richtigen
Rhythmus, hier nur kann er das Leben empfangen, vermag er das auszudrücken, was ihn
wirklich bewegt. Viele seiner Bilder aus diesen Jahren muten wie der Schrei eines Hungernden
an, dem endlich Nahrung gegeben wird. Doch das Beste beschränkt sich nicht
nur auf die Landschaft, auf die gewachsene Natur. Schon frühe Bilder beziehen die Arbeitswelt
, die Industrielandschaft, den Fabrikhof, Häfen, Güterbahnhof und andere
Verkehrsbauten, mit steigendem Maße auch die Menschen mit ein. Den arbeitenden
Menschen, den Fabrikarbeiter, den Bauern auf dem Felde, beim Chirsigünnen, auf dem
Heimweg von schwerer Tagesarbeit, weit entfernt von jeder Idylle. Aber auch das Porträt
, Bilder von Freunden und Verwandten, die Karl Gerstner erschaut, deren Wesen er
vortrefflich erfaßt, entstehen in größerer Zahl. Und da sind auch noch die Selbstbildnisse
, Dokumente gleichsam von den verschiedensten Stationen seines eigenen Lebens. Der
Jüngling Gerstner mit dem kritischhinterfragenden, fast zweifelnden Blick, der heimgekehrte
Soldat Gerstner, gezeichnet und belastet mit der Erinnerung an das hinter ihm hegende
Grauen des Krieges, dann die Strichzeichnung, wohl die eindrucksvollste und
rücksichtsloseste Selbstdarstellung des geschundenen Menschen, und letztlich das große
Selbstporträt in dezenter pastelliger Tönung. Sie alle sind Momentaufnahmen des Lebens
und Erlebens.

Wichtiges Erleben und neues Schauen bringen ihm Reisen ins Ausland. Auf einer Hollandreise
ist es das Meer mit den Häfen und Schiffen, Möwen, der Strand, die Weite des
Horizonts. Man vermeint die Salzluft zu schmecken, den Geruch von Teer und Tang am
Schrei der Möwen zu hören, wenn man in den Skizzen blättert. Die Provence öffnet sich
Karl Gerstner mit ihren Lavendelfeldern, mit ihren Ockerfelsen in glühenden Farben,
und es scheint, als habe ihn diese Farbigkeit des dort Geschauten bis heute nicht mehr
losgelassen. Die Tiroler Berge lassen ihn in vielen Skizzen, Blättern und zarten Aquarellen
das Erlebnis der Alpenwelt festhalten. In Venedig ist es unter anderen Arbeiten der
berühmte Markusplatz, der ihn an einer durchplanten Temperaskizze inspiriert. Doch
immer wieder kehrt er heim, kehrt er zum Bild seiner Heimat zurück, ohne daß er jedoch
Gefahr läuft, heimelige, volkstümliche Bildchen zu malen.

Trotz all seines liebenden Schauens von Landschaft und Menschen, zwischen Rhein
und Gebirge, ist sein Werk geprägt von einer oft schmerzvollen Auseinandersetzung,
von einem harten Ringen, um Gehalt des Geschauten und Erlebten in eine Gestalt zu fassen
. Vor wenigen Jahren wirft ihn eine plötzliche schwere Erkrankung nieder, ihn, der
sich gerade aus den Fesseln und Qualen des doch mühsamen Erwerbslebens befreit dachte
. Freunde flüstern seinen Namen nur noch, und dann steht er wieder unter uns, und es
bricht ein Malstil und eine Farbigkeit aus ihm hervor, als wolle er uns zurufen: Hier bin
ich wieder, wie der Phönix aus der Asche auferstanden. Geradezu blutvoll und überschäumend
in seiner Farbpalette der »Badende am Rhein bei den Schwellen« und auch in
anderen Werken der letzten Zeit. Dieses Hervorbrechende, Ungestüme ist wohl das
Charakteristikum der neueren Arbeiten, manchmal kaum noch gebändigt in der Form.
Der Schaffensdrang scheint dem Malerwerkzeug vorauszueilen. Ein großer, weiter
Schritt in eine neue Richtung, zu neuen lockenden Ufern. Es ist diesem 70jährigen
»Jüngling« zuzutrauen, daß er uns Schauende noch mit manchem Neuen überraschen
wird.

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