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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
48.1986, Heft 1.1986
Seite: 161
(PDF, 33 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1986-01/0163
In der Stube über dem Sofa hing eine Tafel mit der Inschrift »Deutsche Ritter vom Geiste
« mit Hunderten von kleinen ovalen Porträts deutscher Dichter. Bis zur Mitte des
19. Jahrhunderts waren die Köpfe ausgeprägt und behaltsam. Von dort ab aber tauchten
die fremden Gesichter von Zeitungsschreibern und Feuilletonisten auf, Namen, die heute
kein Mensch mehr kennt oder liest. Geibel war besonders beliebt mit seinem wehenden
Haar und seinem Knebelbart, weil er uns an den Kopf unseres Vaters erinnerte.

Wenn uns der Vater zuweilen von den Dichtern erzählte, z.B. von Kinkel und dessen
phantastischer Flucht aus dem Gefängnisse, hörten wir gespannt zu und behielten gut im
Gedächtnisse, was, erregt und bewegt, der Vater aus Kinkels Dichtung uns vortrug:

»Auch nach uns werden andere Frommen

Dem Herrn noch schönern Altar weihn.

Es werden neue Freuden kommen,

Und neue Leiden werden sein.

Mich schreckt es nicht: Mit festem Blicke
Schau ich der Zeiten Wandel an.
Es wechseln Völker die Geschicke,
Die Menschheit geht die gleiche Bahn!«

Bei solchen Versen hatten wir den Eindruck von etwas Großartigem, Weltüberflügelndem
und Beherzigenswertem.

Ein anderes Paradepferd des Vaters, das er uns oft vorführte, war Schillers Widmung
an Dalberg zum »Teil«:

»Doch wo ein Volk, das fromm die Herden weidet,
Sich selbst genug, nicht fremden Guts begehrt,
Den Zwang abwirft, den es unwürdig leidet,
Im Glücke selbst, im Siege sich bescheidet...«

Da unter unseren Schulkameraden auch Schweizer waren, Söhne von Arbeitern und
Angestellten in den Schweizer Fabriken des Wiesentals, machten wir uns oft den Spaß,
sie zu fragen, ob sie diese herrlichen Verse zum Lobe ihres Volkes auch auswendig kennten
. Damit war es wirklich nichts! Und unser Vater erklärte uns dann, wenn wir es ihm
wieder erzählten, Schiller habe die alten Schweizer vor achthundert Jahren im »Teil« gemeint
, nicht die heutigen. Da waren wir wieder zufrieden.

Ich war ungefähr zwölf Jahre alt,als ich ein Gedicht in das evangelische Wochenblatt
»Die Kirche« schrieb:

»Es stand an meines Weges Rand
Ein Engel gut und rein,
Er hielt in seiner rechten Hand
Den schönsten Edelstein.

Der Engel warst Du, Mutter mein,
Die Du's so gut gemeint.
Dein Segen ist der Edelstein,
Der mir durchs Leben scheint.«

Der Vater war gar nicht sehr damit einverstanden und sagte, ich hätte ihm das Gedicht
vorher zeigen und ihn fragen sollen, ob ich es in der Zeitung veröffentlichen dürfe.

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