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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
48.1986, Heft 1.1986
Seite: 190
(PDF, 33 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1986-01/0192
eigentliche Tiefpunkt in der Wertschätzung der Architektur des 19. Jahrhunderts war, von den
»unbestreitbaren Verdiensten« der Neu-Renaissance oder des Jugendstils geschrieben wird. Hier
wurden Gesetzmäßigkeiten erkannt, lange, sehr lange bevor sie Allgemeingut wurden.

Daß Bauwerke des 19. Jahrhunderts, insbesondere aus dessen zweiter Hälfte, d. h. Neugotik,
Neoromanik, »Stilwiederholungen« als interessante und meist erhaltenswürdige Dokumente ihrer
Zeit angesehen, ja als Kunstwerke anerkannt werden, ist heute ganz selbstverständlich. Dies alles ist
jedoch viel weniger selbstverständlich, wenn man bedenkt, daß noch vor relativ kurzer Zeit, noch in
den 1960er Jahren, solche Bauwerke nicht nur als künstlerisch wertlos, sondern sogar als »Kitsch«,
d. h. als moralisch bedenklich und daher als beseitigenswert angesehen wurden.

»Daraus wurde...ein virulentes, oft schon fanatisches Kultur-Querulantentum, erfüllt von den
besten Absichten, das sich neben anderem berufen fühlte, den 'Kitsch' auszurotten. In keiner anderen
Sprache als der deutschen gibt es einen entsprechenden Begriff: 'Kitsch' ist unübersetzbar.
'Mauvais goüt', 'bad taste', mit dem man es übersetzen muß, ist etwas anderes, Harmloseres, das
man nicht bekämpft, sondern belächelt; im Kitsch dagegen ist der schlechte Geschmack dämoni-
siert, die Abwesenheit von Geschmack ist gewissermaßen personifiziert... ein völkerpsychologisches
Problem ersten Ranges, wieso die Künste sich einzig im Bereich der deutschen Sprache aus
dem allgemeinen Kulturkörper dermaßen auspolarisieren konnten...«

In diesen seinen Schriften, überhaupt in seinem Oeuvre erweist sich Peter Meyer als ein Humanist
im besten Sinne, Humanist allein schon darin, daß ihm das klassische Griechenland nicht nur in
seinem künstlerischen Schaffen, sondern auch in seiner Denk- und Bewußtseinsstruktur entscheidende
Basis und unbedingt verpflichtender Maßstab bleibt: völlig unbeeindruckt dadurch, daß sich
die verschiedensten Kräfte, vom marxistischen Materialismus über den Blut- und Bodenkult bis zu
einem oberflächlichen Modernismus (der nur dem Naiven als angeblich weltanschaulich neutral
vorgemacht werden kann) große Mühe gaben und noch heute geben, diesen klassischen Maßstab als
überholt, als nicht mehr in unsere moderne Zeit passend abzutun und auf verschiedenste Weise zu
verhöhnen.

Ein größerer Teil der Aufsätze befaßt sich mit dem Problem »moderne Architektur und Tradition
« ; hier wird mit großer Uberzeugungskraft deutlich gemacht, daß auch und gerade die besten
Leistungen der Gegenwart nicht möglich sind ohne eine intensive Auseinandersetzung mit der
»Tradition«, d. h. mit der Vergangenheit im weitesten Sinne. Eine Neu-Schöpfung aus dem Nichts
gibt es nicht, keine wirkliche Leistung irgendeiner Zeit (auch der modernen) ist möglich ohne die -
schmerzliche - Auseinandersetzung mit allem schon Dagewesenen.

In Peter Meyers Aufsätzen kommt mehr als einmal zum Ausdruck, daß er als überzeugter Protestant
aus einer tief christlichen Prägung die Grundprobleme der Architektur sieht. Auf dieser
Grundlage wird verständlich seine Verteidigung von Eigenheiten und Zusammenhängen, welche
dem protestantischen Kunstverständnis nicht gerade naheliegen: in einem seiner letzten Aufsätze
tritt er ein für die Erhaltung von (in der Tat vielerorts sehr gefährdeten) Lourdes-Grotten als durchaus
ernstzunehmenden Zeugnissen einer lebendigen Volksfrömmigkeit, die es in Schutz zu nehmen
gilt vor rechthaberischem Geschmäcklertum, das uns vorschreiben will, daß wir solche Werke als
»Dokumente des Ungeschmacks und einer süßlich verkitschten Religiosität« nur mit tiefer Verachtung
ablehnen dürften.

Die vorliegende, von Hans Jakob Wörner herausgegebene Aufsatzsammlung ist nicht nur äußerst
inhaltsreich und amüsant zu lesen, sondern beinhaltet auch hinsichtlich treffender Formulierung
, die einer gewissen Polemik nicht entbehrt, manchen »Hammer« von höchst aktueller Thematik
. Man kann Wörner zu diesem seinem neuen Buch nur beglückwünschen und dem Werk eine gute
Verbreitung wünschen.

Gustav Hiener

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