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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
50.1988, Heft 2.1988
Seite: 43
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1988-02/0045
Etwa um 1875 zeichnete sich eine neue politische Kraft im Elsaß ab: die Autonomi-
stenpartei um den Journalisten August Schneegans, einen zurückgekehrten Optanten.
Ihr Ziel war nicht mehr die Rückkehr nach Frankreich, sondern die Gleichberechtigung
und größtmögliche Selbständigkeit des Reichslandes im Rahmen des Deutschen
Reiches. Ihrem Wirken ist es in großem Maße zuzuschreiben, daß sich Elsaß-Lothringen
1879 mit der Einführung der "Statthalterverfassung" einen deutlichen Schritt an einen
selbständigen Bundesstaat annäherte. An die Stelle des bisherigen Oberpräsidenten
, eines reinen Verwaltungsbeamten, trat als Vertreter des Kaisers ein Statthalter, der
sozusagen die Rolle des monarchischen Landesherrn übernahm. Ihm und der neuen
Zentralbehörde in Straßburg, dem "Ministerium für Elsaß-Lothringen", trat ein
Landesausschuß mit erweiterten Rechten gegenüber. Damit entsprach die Ordnung Elsaß
-Lothringens der eines konstitutionell regierten Staates. Ein solcher war es gleichwohl
noch lange nicht: Der Reichstag blieb potentiell für die Landesgesetzgebung zuständig
; vor allem aber konnte das Land keine stimmberechtigten Vertreter in den Bundesrat
entsenden - ein eindeutiges Indiz für seine weiterhin abhängige Stellung. Den
spitzesten Stein des Anstoßes bildete indessen die Übernahme des sogenannten Diktatur
-Paragraphen von 1871 in das Statthaltergesetz. Er erlaubte dem Oberpräsidenten
und dann dem Statthalter, zur Vermeidung von Unruhen und zur Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung den Ausnahmezustand zu erklären. Verhaftungen vorzunehmen.
Ausweisungen zu verfügen und Versammlungen und Presseorgane zu verbieten. Er
wurde erst 1902 aufgehoben, als der Landesausschuß die Mittel für ein protzig-romantisches
Lieblingsprojekt Kaiser Wilhelms IL. den Ausbau der Hohkönigsburg. bewilligte
. Wenn der Diktatur-Paragraph auch in der Wirklichkeit kaum eine Rolle gespielt
hat. so haben doch seine bloße Existenz und lange Gültigkeit in der Bevölkerung des
Reichslandes nachhaltige Verbitterung erzeugt. Die Statthalterverfassung hat lange,
allzu lange, nämlich zweiunddreißig Jahre lang, gegolten. Zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung
mag sie einen Fortschritt dargestellt haben: mit den Jahren jedoch mußte
sie den in parlamentarischen und plebiszitärenTraditionen beheimateten Elsässern und
Lothringern als eine zunehmend dürftige Gestaltung ihrer landespolitischen Möglichkeiten
erscheinen.

Als Theodor Fontane im Frühjahr 1871 in Straßburg über die Möglichkeiten der
Annäherung der eroberten Gebiete an Deutschland nachsann, formulierte der den
Grundsatz, das Allerbeste, was Deutschland habe, sei gerade gut genug für Elsaß-
Lothringen.41 Und in derTat sind der Aufbau der Verwaltung und des höheren Bildungswesens
, auch die wirtschaftliche Förderung des Landes an dieser Leitlinie ausgerichtet
gewesen. Der Oberpräsident Eduard v. Moeller. der im September 1871 an
die Stelle des Militärgouverneurs trat, galt als einer der besten preußischen Verwaltungsbeamten
. Auch die Bezirkspräsidien in Straßburg, Colmar und Metz, die
Kreis- und Kommunalverwaltungen haben dem Land eine gute. auf sachliche Förderung
ausgerichtete Verwaltung angedeihen lassen. Allerdings ist der psychologische
Graben zwischen "altdeutschen" Zuwanderern und Einheimischen nie recht überwunden
worden. Das gilt in noch stärkerem Maße für die 1872 gegründete "Reichsuniversität
" Straßburg. Ihr war die Aufgabe zugedacht, die "Berührung mit dem
deutschen Geist" zu bewirken, die allein, so wiederum Fontane, die Wandlung, nämlich
die Abkehr des Elsasses von Frankreich, vollziehen könne."' Hier fand sich bald
eine Elite der deutschen Professorenschaft zusammen, zu der aber nur ganz wenige
Elsässer Zutritt gewannen. "Wir leben hier in einer Kolonie, die ins Land hineingepflanzt
ist," schrieb später der Historiker Friedrich Meinecke über seine Straßburger
Zeit.6)

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