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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
50.1988, Heft 2.1988
Seite: 44
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1988-02/0046
An der wirtschaftlichen Blüte des Reiches nach 1871 nahm Elsaß-Lothringen in vollem
Maße teil. Die deutsche Verwaltung förderte gezielt die Verbesserung der bestehenden
Infrastruktur. So kommt es zur Erweiterung der Textilindustrie und zur Erschließung
der Kaligruben bei Wittelsheim und der Ölvorkommen von Pechelbronn. Der
Straßburger Rheinhafen wird erweitert, das Eisenbahnnetz von 768 km (1871) auf 1912
km (1912) vergrößert.7' Solche Investitionen verdeutlichen am besten die Überwindung
der Konzeption vom Elsaß-Lothringen als militärischem Vorland des Reiches gegen
Frankreich, die Bismarck in seiner "Glacis-Rede" 1874 dargelegt hatte. So wurden
die scharfen wirtschaftlichen Wunden der Annexion allmählich geheilt und das Land
mit unzähligen Fäden an das Reich gebunden. Der beträchtliche Wohlstand, der sich
einstellte, hat einen großenTeil zur Milderung der Gegensätze beigetragen.

Mit der französischen Sprache in Elsaß-Lothringen ist die deutsche Vewaltung überraschend
behutsam umgegangen. Deutsches Überlegenheitsgefühl und ein stillschweigender
Respekt vor der französischen Kultur führten hier zu einer sehr viel toleranteren
Haltung als etwa in Posen-Westpreußen oder Nordschleswig. Im Reichsland sprachen
12 % der Bevölkerung Französisch als Muttersprache: im westlichen Lothringen
(Metz. Chäteau-Salins). in den elsässischen Vögesentälern (Breuschtal, Weilertal, Lebertal
. KaysersbergerTal) sowie im südwestlichen Zipfel des Sundgaus (Courtavon. Le-
voncourt). Aber auch das Bürgertum der Städte hielt, soweit es nicht nach Frankreich
abgewandert war. an französischer Sprache und Kultur als wertvollem Besitz fest. Zwar
wurde Deutsch 1872 Amts-, 1873 Unterrichtssprache, aber für die frankophonen Gebiete
galten klare Ausnahmeregeln. So war in 27 elsässischen Gemeinden Französisch
die Unterrichtssprache. 1885 gab es im Elsaß (ohne Lothringen) 15 französisch- und 21
zweisprachige Zeitungen und Zeitschriften. Im Landesausschuß wurde Deutsch erst
1881 die Verhandlungssprache, und in seinen Kommissionen blieb das Französische
noch lange in Gebrauch. Von solchenTatsachen her bedarf der Vorwurf der "germanisa-
tion". der in französischen und elsässischen Publikationen immer wieder auftaucht,
gewiß der Differenzierung. Die deutsche Sprachenpolitik im Reichsland bleibt, "besonders
vor dem Hintergrund der bis 1918 andauernden antipolnischen und antidänischen
Nationalitätenpolitik, auch der französischen Sprachenpolitik im wiedergewonnenen
Elsaß und in Lothringen während der Zwischenkriegszeit, eine beachtenswerte
Leistung, die den Vergleich mit dem Nationalitäten- und Sprachenrecht anderer Staaten
nicht zu scheuen braucht."9'

Um 1900 hatten sich viele Spannungen zwischen Elsaß-Lothringen und dem Reich
gelöst. Eine neue Generation war herangewachsen, die Frankreich nicht mehr kannte.
Der Protest hatte sich überlebt, als einzig sinnvolles politisches Ziel erschien die Autonomie
im Rahmen des Reiches. Der Ansatz der französischen Tendenzliteratur von
Daudet bis Barres und Bazin. die Elsässer als eine Gesellschaft von Heloten darzustellen
, die nichts sehnlicher wünschen als die Befreiung durch Frankreich, findet keine
rechte Begründung in denTatsachen. Auch die Bilder Hansis von den fröhlichen Landbewohnern
, die trotz großer Bedrängnis durch tumbeTeutonen ihre blau-weiß-rote Gesinnung
unverdrossen hochhalten, hat nur den Wahrheitsgehalt der Karikatur für sich.
Nicht alle altdeutschen Lehrer entsprachen seinem unsäglichen "Professor Knatsch-
ke": mit welcher Hochachtung etwa spricht Albert Schweitzer von Wilhelm Deecke.
dem Direktor des Mühlhauser Gymnasiums!101 Gewiß blieb eine sentimentale Anhänglichkeit
an Frankreich weit verbreitet: aber es verlor doch vor allem gegen die Jahrhundertwende
hin stark an Anziehungskraft. Den Einrichtungen, die die Bismarcksche Sozialgesetzgebung
geschaffen hatte, konnte es nichts Gleichwertiges entgegensetzen.
Vor allem rissen der französische Kulturkampf und die Laisierung 1905 einen Graben zwi-

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