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Abb. 2: Hansi: Professor Knatschke
sehen dem früheren Mutterland und seiner verlorenen Provinz auf. der nach der Rückgliederung
noch schwere Probleme verursachen sollte. In diesen Jahren um 1900 wäre
eine Lösung der elsaß-lothringischenVerfassungsfrage ein Zeichen politischer Klugheit
gewesen. Als sie dann spät, zu spät 1911 kam. hatte sich das Klima im Reichsland bereits
wieder nachhaltig verschlechtert.
Schon 1904 bemerkte Friedrich Meinecke bei den Elsässern Anzeichen für eine sich
verändernde Haltung: "Der Wandel der Weltlage durch die englisch-französische Entente
(...) und die daraus für das Reich aufsteigende Gefahr hatte sie, wie ich überzeugt
bin. erregt und das dumpfe Gefühl in ihnen erweckt, daß noch einmal um sie gekämpft
werden würde."11' Die Marokko-Krise von 1905/6 machte dann die deutsche Schwäche
vollends offenkundig. Diese Verschlechterung der außenpolitischen Stellung des Reiches
belebte die nie ganz abgestorbenen frankophilen Neigungen und führte um 1908
zu einem deutlich spürbaren Stimmungsumschwung im Elsaß. Bezeichnenderweise
verlangte der Landesausschuß ab 1908 nach zwanzigjähriger Pause wieder eine Ausweitung
des Französischunterrichts - die 1910 auch gewährt wurde.121 Einen ersten Höhepunkt
erreichte die neue Hinwendung zu Frankreich mit der Kundgebung von Weißenburg
: Dort wurde im November 1909 auf dem Geisberg ein Denkmal für die französischen
Gefallenen der Kriege von 1744,1793 und 1870 in Anwesenheit von 50.000 Menschen
eingeweiht. Gegenüber der deutschen Seite artikulierte sich in zunehmendem
Maße das Bedürfnis nach Abgrenzung. Immer hörte man das Schlagwort von der "Ver-
preußung" des Elsaß, der es zu begegnen gelte. In derTat waren mittlerweile mehr als
300.000 Altdeutsche eingewandert, die durch ihre Tüchtigkeit, aber auch durch Protektion
in die führenden Stellungen des Reichslandes gelangt waren. Der Unmut über
diese Überfremdung findet vielleicht keinen treffenderen Ausdruck als in derTrotzreak-
tion der jungen Louise Weiss. Tochter eines Optanten und nachmalige Alterspräsidentin
des Straßburger Europa-Parlaments, gegen die Witwe eines preußischen Beamten
in Colmar, bei der ihre Mutter sie zwecks Erlernung der Sprache Goethes und Nietz-
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