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sches eine Zeitlang untergebracht hatte: "MeineWirtin gedachte das Elsaß wie eine Kolonie
zugunsten des Reiches auszubeuten, und das mit Hilfe ihrer Brut von Kindern,
angefangen bei der ältesten, einer hundert Kilo wiegenden Lola, bis zu der mir gleichaltrigen
jungen Emmy; dazwischen lagen fünf oder sechs Buben, die alle einen Platz in
der Verwaltung unseres verlorenen Gebietes anstrebten, wo sie besser als in Posen oder
Danzig dick und fett zu werden hofften.U)
Daß in diesen Jahren der Gärung die elsaß-lothringische Verfassungsfrage doch noch
zu einem späten Abschluß gebracht wurde, ist das Verdienst zweier aufgeschlossener
Politiker, die in entscheidender Stellung zusammenwirkten: des Statthalters Graf v. Wedel
in Straßburg (seit 1907) und des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg in Berlin. So
konnte der Reichstag im Mai 1911 die neue Verfassung verabschieden. Elsaß-Lothringen
"galt" von nun an als Bundesstaat und entsandte drei Vertreter in den Bundesrat,
die allerdings zur Erhaltung des bisherigen Gleichgewichts in diesem Gremium gewissen
Beschränkungen unterlagen. Dem Statthalter und seinem Ministerium trat ein
Landtag aus zwei Kammern gegenüber. Die nach dem allgemeinen, gleichen und geheimen
Wahlrecht gewählte Zweite Kammer wurde sogleich zum Brennpunkt der Landespolitik
. Der Reichstags- und Landtagsabgeordnete und spätere Autonomistenführer
Abbe Haegy hat 1929 rückblickend geurteilt: "Wir haben unseren Landtag geschätzt
als die kostbarste Errungenschaft der letzten Jahrzehnte."14'Tatsächlich war das politische
System des Reichslandes nun fortschrittlicher als etwa in Mecklenburg oder Preußen
. Das muß man bedenken angesichts der Enttäuschung, mit der die neue Verfassung
1911 von großen Teilen der reichsländischen Öffentlichkeit aufgenommen wurde: Sehr
viel mehr an demokratischer Mitbestimmung hatte das deutsche Kaiserreich gar nicht
zu bieten - es sei denn, es hätte dem Verlangen nach Parlamentarisierung nicht erst bei
seinem Untergang nachgegeben.
Den im Reichsland stationierten Militärs allerdings ging die Regelung von 1911
schon viel zu weit. Sie verlangten, daß Zugeständnisse von Beweisen eines positiven
Reichspatriotismus abhängig gemacht würden, den sie allerdings den Elsässern und
Lothringern rundweg absprachen. Sie fühlten sich in Elsaß-Lothringen gleichsam in Feindesland
, "in Garnison". Diese Haltung ist der Hintergrund für die Zaberner Affäre von
4h
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