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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
50.1988, Heft 2.1988
Seite: 65
(PDF, 36 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1988-02/0067
weiler daraufhindeuten, daß den dortigen Auswanderungswilligen 1853 wesentliche Informationen
vorenthalten worden sind, fällt im Falle Bremgarten die von Bürgermeister
Grathwol gepflogene Sorgfalt der öffentlichen Diskussion ins Auge. Der Ortsvorstand
fuhr nicht nur persönlich in einer gemieteten Chaise nach Colmar, sondern legte
alle Bedingungen der geplanten Algerienauswanderung offen dar. Wobei in beiden Gemeinden
die unterschiedlichen Beschlüsse im Gesamtinteresse des Gemeinwesens,
und nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit gefaßt worden sind. Die beteiligten Entscheidungsträger
wollten sich durchaus unterstützungsbedürftiger Ortsarmer entledigen
. Und die verarmten Ortsbürger und Antragsteller sahen in ihren Heimatgemeinden
für sich und ihre Angehörigen keine Zukunftsperspektiven mehr. Sie zogen dem
Bettel und dem lediglich geduldeten Dasein ein Auswanderungsbegehren vor, das
Hoffnung und Besserung versprach.

Immer wieder wurde bei den Gemeindeversammlungen die Furcht vor einer eventuellen
Rückkehr der auf Gemeindekosten Ausgewanderten laut. Und eine Rückkehr
hätte in derTat das Scheitern derVorhaben bedeutet und die Kosten zur Fehlinvestition
werden lassen, da erneut Unterstützungen zu leisten gewesen wären.

Bürgermeister und Gemeinderat in Pfaffenweiler haben ihre Algerienauswanderer
getäuscht oder zumindest nicht hinreichend informiert. Besonders deutlich wird dies
an der Tatsache, daß alle Teilnehmer vor Antritt der Reise ihre badische Staatsbürgerschaft
aufzugeben hatten, obgleich keine Aussicht auf rasche Erlangung der französischen
bestand. Mit ganz besonderer Deutlichkeit haben die gesamte Tragik dieser Verfahrensweise
jene Algerienauswanderer erlebt, die acht Jahre nach ihrem Abschied mit
Nachdruck versuchten, nach Pfaffenweiler zurückzukehren, da sie die algerischen Zustände
als Katastrophe erlebten. Wilfried Luhr. Wort- und Schriftführer dieser Gruppe
Rückkehrwilliger,wandte sich 1861 an den Großherzog.1 1 In diesem Schreiben ist von falschen
Versprechungen und nicht eingelösten Zusagen der Gemeinde die Rede. Sicher ist,
daß weder das französische Kriegsministerium noch die Präfektur in Colmar falsche Versprechungen
gemacht haben.181 Reinhold Muschik wiederholt Behauptungen der frankreichfeindlichen
Propaganda, wenn er "die durch großsprecherische Zusagen der französischen
Regierung geweckten Erwartungen"191 zur trügerischenTriebfeder der Algerienauswanderung
erklärt. Bleibt eigentlich nur die Gemeinde als Verursacher der Täuschungen.

Für die finanzierenden Gemeinden war das Ziel Algerien im Vergleich mit den Vereinigten
Staaten durch die erheblich niedrigeren Kosten durchaus verlockend. Seit 1830
französische Kolonie und 1853 noch immer im Kriegszustand, wurde Algerien vom
französ. Kriegsministerium verwaltet, das den Transport und die Reiseverpflegung der
Einwanderer-Kolonisten übernahm. Aus Gemeindemitteln waren die 500 bis 600
Francs Handgeld für jede Familie aufzubringen. Fraglos war Frankreich interessiert,
die Kolonie zu besiedeln und wirtschaftlich zu nutzen. Im direkten Gegensatz zu angeblichen
"großsprecherischen Zusagen* war nur einer einzigen von gesamt 23 (!) Pfaffenweiler
Familien eine verbindliche Anstellung in Algerien zugesagt worden.20' Und auf
die Anregung des Bürgermeisteramts, die Auswanderungswilligen in den algerischen
Weinbergen zu beschäftigen, da dieselben das Handwerk des Winzers vorzüglich verstünden
, erfolgte die eindeutig abschlägige Antwort, daß diese Tätigkeiten der einheimischen
algerischen Bevölkerung vorenthalten seien und hierin keinerlei Aussicht auf
Beschäftigung bestünde.21)

Der Gruppe um Wilfried Luhr wurde die Rückkehr verwehrt, da sie die Zahl der
Ortsarmen und somit die im Dorf herrschende Not nur vermehren würde. Und juristisch
waren mit dem Verzicht auf die Staatsbürgerschaft alle Ansprüche auf eine erneute
Niederlassung am früheren Heimatort erloschen.

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