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che Tief angelastet, wie z.B. der große Börsenkrach in der Gründerzeit.
Das wurde nach dem L Weltkrieg nicht besser. Die Gesellschaft war durch den
Kriegsausgang erschüttert. Der Verlust der Monarchie, die Auflösung des Ständestaates
und das wirtschaftliche Chaos trafen mit den harten Vertragsbedingungen von Versailles
zusammen. Dazu kam die Inflation und danach die Weltwirtschaftskrise. "Die
Protokolle der Weisen von Zion" geisterten herum, eine plumpe Fälschung, die von jüdischer
Verschwörung und angestrebter Weltherrschaft sprachen. Die internationale
Verflechtung des Judentums - wiederum durch die Geschichte der Verfolgung und des
immer wieder Verjagd-Werdens bedingt -. der Konkurrenzneid und der Fremdenhaß
trugen dazu bei, den wirtschaftlichen Antisemitismus zu forcieren.
Der Jude war an allem schuld. Er war unser Unglück. Hier ist der Zeitpunkt, den rassischen
, den biologischen Antisemitismus heranzuziehen. Darwins Theorien von der
"Natürlichen Auslese'* und dem "Überleben derTauglichsten" wurde von seinen Schülern
vom Pflanzen- undTierreich auf den Menschen übertragen. Graf Gobineau stufte
in seiner Rassenlehre die Juden als nicht reinrassiges und daher minderwertiges Volk
ein. Chamberlain ging noch weiter. Dieses minderwertige Volk, mit einer verkümmerten
Religion, ohne Gefühl und Gemüt, hat das arische Blut vergiftet. Es versucht, den
Arier zu degenerieren. Dieser Gefahr gilt es zu steuern. Und nicht wenige Größen aus
dem deutschen Geistes- und Kulturleben folgten diesen pseudowissenschaftlichen
Theorien: Fichte, Richard Wagner, Heinrich vonTreitschke, Gustav Freytag und Wilhelm
Raabe gehörten mit dazu.
Der Antisemitismus wurde wieder salonfähig.
Dieser Antisemitismus in seinen vielfältigen Formen durchzog Europa von Spanien
bis ins zaristische Rußland. Mit Ausnahme von England fanden überall Pogrome und
Verfolgungen statt, wurde dieser fremden Minderheit das Leben zur Hölle gemacht.
Auch die Kirchen schwiegen, ja, sie prägten und förderten den Antisemitismus. Die
Legitimation dafür entnahm man der Heiligen Schrift, und nicht wenige der nationalsozialistischen
Führer beriefen sich darum auf sie, wie Julius Streicher beim Nürnberger
Prozeß.
Der Antisemitismus bestimmte die national-sozialistische Bewegung von Anbeginn
an. Im Programm der NSDAP vom 24. Februar 1920 heißt es:
"Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer
deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher
Volksgenosse sein."1 1
Der Antisemitismus wurde von der Partei in ihrer Propaganda geschickt als politische
Waffe eingesetzt. Das Judentum wurde zum Urheber des über Deutschland gekommenen
Unheils gestempelt, denn der Versailler Vertrag war das Werk jüdisch-kapitalistischer
Regierungen. In der Dolchstoß-Legende sah man das Wirken jüdisch-marxistischer
Kräfte. Die Inflation war inszeniert vom jüdischen Weltkapital, und der verhaßte
Weimarer Staat wurde zur "Judenrepublik" abgewertet.
Das Feindbild vom Juden wurde vertieft, und der Jude - nach Hitler der Weltfeind
Nr. 1 - wurde wiederum einmal zum Sündenbock gemacht.
In der Zeit der Massenarbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen Not fanden dieseThe-
sen bei Bauern, im Kleinbürgertum, beim Mittelstand und auch beim Bildungsbürgertum
unreflektiert Anklang. Dieses Feindbild kam den durch Revolution, Niederlage
und Republik überraschten und enttäuschten Menschen entgegen. Es übte eine Art
Ventilfunktion aus.
Dazu kam die These vom deutschen Blut, die pseudowissenschaftliche Rassenlehre,
die den Arier zur edelsten Rasse und den Juden zur minderwertigen Rasse machte. Der
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