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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
51.1989, Heft 2.1989
Seite: 89
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1989-02/0091
Was den Beobachter auf seiner Bude nicht wenig erstaunt, ist der Umstand, daß
einige der anwesenden Soldaten trotz der Anwesenheit ihrer Offiziere "den Pöbel anreizten
". Noch mehr verwundert ihn. daß sich in dem Haufen einige recht gut gekleidete
Leute befinden. Ihnen allen gilt seine Mißbilligung, wenn er eine weitreichende
Folge des soeben beobachteten Vorgangs voraussieht:

Alle öffentlichen Archive sind vernichtet, und die Straßen eine Strecke rings umher
mit Papieren bestreuet. Dieses Unheil hat man bloß aus Muthwillen verursacht; denn
es werden dadurch viele Familien zu Grunde gerichtet, die mit dem Magistrate in gar
keiner Verbindung stehen.

Die bisher geltende Ordnung ist gestört, sie beginnt sich aufzulösen. Sieht der in den
rechtsstaatlichenTraditionen seiner Heimat verwurzelte Pfarrerssohn bereits die Anarchie
am Horizont heraufziehen? In einer Hinsicht jedoch irrt Young: Es ist keineswegs
nur der fremde "Parisische Revolutionsgeist", der hier am Werk ist. Die Straßburger
treiben die Entwicklung aus eigenem Antrieb, aus eigener Not und eigener Begeisterung
weiter, so daß ihre Stadt zu einer Hochburg der neuen Verhältnisse wird. Dafür ist
wiederum Varnhagen unser Zeuge:

Gleich die ersten Bewegungen zu Paris hatten im Elsaß begeisterte und kräftige Zustimmung
gefunden, und die Straßburger besonders waren leidenschaftlich in die neue
Richtung eingegangen. Überall hörte man die neuen Wahlsprüche, den Leberuf der
Freiheit, des Gesetzes, der Nation, überall brachen die Zeichen des neuen Lebens hervor
, man sah Freiheitsbäume aufgerichtet, die Farben und Schlagwörter der Revolution
in Tafeln, Schildern und Inschriften vervielfältigt, die dreifarbige Kokarde an jedem
Hute, dreifarbige Fahnen auf jedem öffentlichen Gebäude, die Frauen schmückten
sich mit dreifarbigen Bändern. Tag und Nacht erklangen die patriotischen Gesänge.
Das berühmte Volkslied ca ira war in vollem Schwange, jeder Straßenjunge wußte die
wenigen scharfen Worte, und sang sie nach der leichten rohen Weise mit aller Kraft der
Lungen. Das Lob der Patrioten und das Verderben der Aristokraten waren die beiden
Hauptthemen jenes Liedes und vieler anderer, die mit ihm wetteiferten. [...] Mir sind
eine Menge jener Lieder und Verschen, zu denen sich kein Dichter hätte bekennen mögen
, im Gedächtnisse geblieben, aber ich erinnere mich durchaus keiner deutschen,
alle waren französisch, und bei der reichen Zufuhr aus dem Innern war kein Bedürfnis
eigner elsassischen Erzeugung.

Dieses neue Straßburg entwickelte alsbald eine große Ausstrahlung in den süd- und
westdeutschen Raum hinein. Für deutsche Bürger, die dem Druck ihrer despotischen
Landesherren entgehen oder selber politisch tätig werden wollten, war die Emigration
hierher ein naheliegender Schritt, sofern sie nicht, was häufiger war. gleich nach Paris
gingen. Auf diese Weise kamen im Laufe des Jahres 1791 die schon erwähnte Familie
Varnhagen. die Württemberger Johann Georg Kerner und Friedrich Christoph Cotta
sowie der Bonner Professor Eulogius Schneider in die elsässische Hauptstadt. Hier entfalteten
insbesondere die beiden letzteren eine rege Aktivität im Sinne ihrer revolutionären
Ideale. Cotta gab 1791-1792 das Straßburgische Politische Journal heraus, das
sich zu einem wichtigen Agitationsorgan für den deutschen Raum entwickelte. Schneider
trat gleich bei seiner Ankunft im Juli dem Jakobinerklub bei und leistete den Eid auf die
Zivilverfassung des Klerus. Er entwickelt eine lebhafte publizistische Tätigkeit und bekleidete
mehrere öffentliche Ämter; aber berühmt - oder berüchtigt - sollte er durch seine
Rolle als öffentlicher Ankläger im Jahre 1793 werden, als er unerbittlich gegen die Feinde
der Revolution vorging und zahlreiche Menschen auf die Guillotine brachte.

Straßburg wurde aber nicht nur ein Sammlungsort deutscher "Jakobiner", sondern
auch Ziel eines Revolutionstourismus, wie wir ihn in größerem Umfang von Paris ken-

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