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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
51.1989, Heft 2.1989
Seite: 101
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1989-02/0103
Diese Lustbarkeit war von der Municipalität veranstaltet. So viel ich begriff,
herrschte hier, wo niemand zahlte, wo keine unmittelbare Aufsicht statt fand, die vollkommene
Freiheit und Gleichheit. Aber wahrlich diese Probe konnte schwerlich einen
gesitteten Menschen nach ihren Früchten lüstern machen. [.. .]Nur einzig und allein die
unterste Volksciasse nahm daran Theil. Dabei war an keine Ordnung irgend einer Art
zu denken. Man hüpfte zur Musik wild durch einander. Hier schwenkten sich Mädchen:
dort rangen junge Bursche: weiterhin versuchte man eine Art Cotillon: im Winkel eines
Fensters sucht ein verliebtes Paar die Einsamkeit. Der äußerst lärmendeTon. die Grobheit
, die Revolutionssprache, welche hier herrschte, schien deutlich genug zu verra-
then. daß diese Menschen wohl nicht auf die Weise vor der Revolution sich belustigt
hätten. Hier wäre dann Stoff zu mancherlei Beobachtungen gewesen. Aber das Local
machte sie für mich unmöghch. Die Ausdünstungen des schrecküch vollgestopften
Saals, vermehrt durch die Dünste des Weins und den Dampf einiger Hundert Tabacks-
pfeifen. nöthigten mich bald, das Freie zu suchen.

Schon nahete ich derThüre, als einen Schuster die unglückselige Laune ergriff, mich
einen Walzer tanzen zu lassen. In dem Kostüm seinerWerkstatt. die er um das Abendfest
verlassen hatte, mit einer weiland Jacobinermütze geschmückt, forderte er mich,
der ihm zuerst in die Augen fiel. auf. seine Tanzlust zu befriedigen. Ich entschuldigte
mich vergebens. Sogar das half nichts, daß ich nahe genug eine gefällige Schöne zeigte,
die sicherlich belebter tanzen würde. Er gehörte zu den politischen Tänzern. Mit aufgebrachtem
Ton warf er mir den Mangel an brüderlicher Gleichheitsgesinnung vor. Und
sogleich nahm er von meinem Arm mit Gewalt Besitz. Ich begriff, daß unter diesem Publikum
an keine Einrede zu denken wäre. Ihr armer Freund mußte sich anschicken,
durch die Dampfwolke an des Schusters Arm einen Fleck aufzusuchen, wo man sich
umdrehen konnte: dieß war der einzige Aufschub, der sich erhalten ließ. Aberunterdeß
führte mein Genius einen Municipalbeamten herbei, mit dem ich den Morgen auf dem
Gerüst gesprochen hatte.

"Ah, je vous prie,"rief ich ihm schon halb atemlos zu,"Attestes mon civisme ä ce ci-
toyen."*

Vermuthlich kannte er meinen Partner, oder er errieth wenigstens meinen Bedrück
aus dem trübseligen Ton.

"Mais comment." sagte er etwas unwilüg."citoyen? c'est un etranger."**

"Puh, c'est un Monsieur! un Monsieur." schrie er. indem er seine Mütze umdrehte.

Er eilte fort, um sich einen gleichgesinnteren Bürger aufzusuchen. Und ich dankte
meinem Befreier, der seine Wöhlthat dadurch krönte, daß er mich nun glücklich aus
dem Saal brachte.

Solche Festlichkeit ist zuviel für den distinguierten Herrn aus dem Norden. Aber
auch bei den eigentlich Beteiligten führt sie zum Überdruß. Vielleicht hat Napoleon
auch darin die Gefühle seiner Landsleute richtig eingeschätzt, daß er den ganzen republikanischen
Festzyklus bis auf zwei Ausnahmen außer Kraft setzte. Feste wie das der
Volkssouveränität hätten in seiner Militärdiktatur nun auch keinen Sinn mehr gehabt.
Somit stellt sich noch einmal die Frage, was von den bewegten Ereignissen eigentlich
geblieben ist. Für das Elsaß ist eine spezifische Antwort schon gegeben worden: die innere
Angliederung an Frankreich. Diese darf man sich nicht als raschen Umschwung,
sondern als längerfristigen Prozeß vorstellen, der ohne Konkordat. Code Napoleon
und Empire wohl gar nicht zum Abschluß gekommen wäre. Dann aber ist sie eine ge-

* Ah, bitte, bezeug diesem Bürger meine Bürgergesinnung!
** Wie. Bürger? Das ist ein Ausländer.

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