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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
52.1990, Heft 2.1990
Seite: 63
(PDF, 30 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1990-02/0065
mit zwei SS- und einem SA-Mann die Organisation übernommen. Bei der Recherche hat sich
im Staatsarchiv Freiburg der detaillierte "Standort-Befehl" gefunden für den l. April, ein
Einsatzplan für SA, SS und Spielmannszug. Jeweils zwei Mann müssen sich ab 10 Uhr vor 15
Geschäfte oder Praxen von Juden stellen. Sie sollen, so der weitere "Sonderbefehl 1/33", jeden
"in sehr höflicher aber bestimmter Form" vor dem Betreten warnen. Sollten gar Parteigenossen
dort einkaufen, müssen die Personalien erhoben werden für ein Parteiausschlußverfahren.
"SA-Innenpolizisten" werden aufgeboten für alle Fälle. Aus Berlin nämlich ist die Warnung
gefunkt worden, es wollten Kommunisten zur Provokation in SA-Uniform auftreten.701

Die Basler "National-Zeitung" berichtet zwei Tage später, nach und nach seien am Samstag
die boykottierten Geschäfte von den Betreibern geschlossen worden. Viele Lörracher hätten
vor 10 Uhr noch rasch bei ihnen ihre Einkäufe erledigt.

Die jüdische Gemeinde Lörrachs feiert 1934 ihr 125jähriges Jubiläum. Etwa 160 Juden
leben in der Stadt, eine Zahl, die in einer alten Bezirksamtsakte auch für den Sommer 1938
genannt ist. Bis dahin sind viele einheimische Juden aber schon fort aus Lörrach und fort aus
dem Reich: andere sind zugezogen.

Es ist offensichtlich, daß die Zukunft unter den Nationalsozialisten ihnen nichts Gutes
bringen kann. Nach und nach werden schikanierende Gesetze erlassen; 1935 erreicht die
Entrechtung der Juden einen ersten Höhepunkt: Juden sind keine Reichsbürger mehr: das
"Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verbietet die Heirat von
Juden und Ariern. Außereheliche Beziehungen werden streng bestraft.

Aus diesem Jahr 1935 stammt auch die Anweisung von Bürgermeister Reinhard Boos, es
dürften an den praktischen Arzt Dr. Moses keine Gutscheine zur Behandlung von Fürsorgeempfängern
mehr ausgestellt werden. 11 Samuel Moses ist in Lörrach ein geschätzter Mann - aber
eben Jude. Er hat für die Deutsche Demokratische Partei im Stadtrat diskutiert, ist Träger des
EK I aus dem Ersten Weltkrieg: er betreut als Arzt das Säuglings- und Kinderheim am
Blauenblick. All das zählt nicht mehr. 1938 wanderte Moses nach Amerika aus. Wohl nicht
wegen abnehmender Patientenzahl. Er hat Bekannten damals erzählt, auch die Nazis seien
weiter in seine Praxis gekommen - nachts allerdings, bei Dunkelheit.

Was im Dritten Reich Sache ist. macht im Juni 1935 Reinhard Boos den städtischen
Bediensteten klar. Boos preist in einem Rundschreiben den Führer, weil der einer "zersetzenden
Tätigkeit des Judentums" auf allen Gebieten Einhalt geboten habe. "Jeder Deutsche, der
noch etwas auf seine völkische Ehre hält, hat dies dem Führer aus innerstem Herzen gedankt.
Wenn es trotzdem noch vorkommt, daß Deutsche dieser artfremden Rasse ihre Zuneigung
bekunden, indem sie mit ihren Angehörigen einen freundschaftlichen Verkehr unterhalten, so
zeugt dies von einer Geschmacklosigkeit sondersgleichen, die schärfstens gebrandmarkt
werden muß." Soweit der Bürgermeister.72'

Auch in Lörrach entschließen sich immer mehr Juden zum Verlassen der Heimat. Wer etwas
Vermögen hat, dem fällt der Entschluß leichter. Polizei und Behörden werfen ein Auge auf die
Ausreisewilligen, um "Steuer- und Kapitalflucht" zu verhindern. Als der Kaufmann Erwin
Born 1938 auf dem Schiff "President Harding" nach USA auswandern will und bei der
Paßstelle des Bezirksamts Lörrach einen Sichtvermerk beantragt für die Reise durch Frankreich
, erhält die Gestapo Nachricht und ebenso (auf rosa Papier in Durchschrift) die Staatspolizeileitstelle
Karlsruhe, die Zollfahndung. Die Reichsbank in Lörrach hat schließlich zu
prüfen, ob Erwin Born noch Steuerrückstände hat.

Gegen die Auswanderung von Juden hat die Reichsregierung im Grunde nichts einzuwenden
; man will sie ja loswerden. Zuvor aber sollen sie nach Möglichkeit noch um wesentliche
Teile ihres Vermögens gebracht werden. Was die Juden an Werten über 5000 Mark besitzen,
haben sie laut einer Verordnung vom April 1938 genau anzumelden. In Lörrach geben 37
Juden die ausgefüllten Formulare ab.74'

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