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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
53.1991, Heft 2.1991
Seite: 82
(PDF, 32 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1991-02/0084
"Geist wider Macht"
oder

Die Lörracher Zeit des Kunstphilosophen Max Raphael

Manfred Bosch

Unter dem Titel "Geisterfahrer" (1) hat der Politologe und Kritiker Hans-Martin Lohmann
eine Reihe von Porträts europäischer Denker zusammengestellt, die von Karl Marx und
Auguste Blanqui über Werner Sombart. Ernst Bloch. Karl Kautsky, Max Horkheimer,
Herbert Marcuse. Günther Anders. Theodor W. Adorno. Jean-Paul Sartre und Jean Amery
bis hin zu Alexander und Margarete Mitscherlich reicht. Der Band, man ahnt es angesichts
dieser veritablen Galerie kritischer Geister, kokettiert mit der negativ besetzten Bedeutung
seines Titels nur. um damit die Notwendigkeit "ordnungswidrigen Verhaltens" auszudrucken
- nur von einem solchen, eingefahrene Bahnen verlassenden Denken, so etwa der
zugrundeliegende Gedanke, sei noch etwas zu erwarten für eine Menschheit, die lernen muß
zu überleben.

Zu diesem "Lernpensum" trägt auch der Schriftsteller und Kunstwissenschaftler Max
Raphael bei. den Lohmann ebenfalls unter seine "Geisterfahrer" aufgenommen hat. An
seiner weitgehenden Unbekanntheit wie an der Schwierigkeit, sein in den letzten Jahren im
Ansatz wiederentdecktes Werk durchzusetzen, ließe sich einmal mehr aufzeigen, einen wie
tiefen Einschnitt in der geistigen Tradierung die kulturelle Barbarei des Nazismus und der
durch ihn verursachte Exodus des Geistes hinterlassen haben. Mit Werk und Person Raphaels
gälte es nicht zuletzt auch seine Lörracher Zeit zur Kenntnis zu nehmen, die - obschon äußerst
unfreiwillig und von relativ kurzer Dauer - ihn indes zu höchst bemerkenswerten Tagebuchaufzeichnungen
unter dem Titel "Geist wider Macht. Kriegstagebuch eines Landsturmrekruten
" veranlaßt hat. Diese verdienten in ihrer so kritischen wie kompromißlosen Haltung
gegenüber Krieg und Militär als einzigartiges Dokument vermerkt zu werden; in ihnen tritt
uns aber auch "das für unser Jahrhundert Typische einer deutsch-jüdischen Intellektuellenexistenz
...ebenso deutlich entgegen wie das Untypische. Singulare eines individuellen
Schicksals, dessen Tragik eben nicht nur das des Juden und des Intellektuellen ist. sondern
dessen Einmaligkeit uns zutiefst ergreift, selbst wenn uns aus Dutzenden von Biographien.
Autobiographien, Konfessionen und Anklagen vergleichbare Schicksale vertraut sind" (2).
Und nicht zuletzt enthüllt sich in dem Grundkonflikt, der den Aufzeichnungen Raphaels
zugrundeliegt, so vieles vom "Thema unseres Jahrhunderts", daß er für es nachgerade von
exemplarischer Aussagekraft und paradigmatischer Bedeutung ist. War doch "Geist wider
Macht", wie Raphael selbst im Abstand von fast dreißig Jahren notierte, "die Devise, unter
der ich... meinen Privatkrieg gegen den Ersten Weltkrieg führte mit all seinen Strafversetzungen
. Gefängnissen etc. und nicht weniger den gegen die Verräter und Überläufer des
Geistes (...) - nicht zu reden von den deutschen Universitätsprofessoren"(3). Doch vor allem
diente dieser "Privatkrieg" und seine außerordentliche analytische und moralische Kompetenz
der Klärung von Raphaels eigener Haltung: wie ist das Verhältnis von Geist und Macht,
wie das von Individuum und staatlicher Verfügung, gibt es ein Recht des einzelnen, sich ihr
zu entziehen? Welches ist das Schicksal der Idee des Sittlichen und des Schöpferischen unter
dem Machtstaat, wie er sich im Krieg in äußerster Zuspitzung zu erkennen gibt, und

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