http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1991-02/0182
komme, wenn ich einen aus der Heimat treffe. So geht es mir immer, wenn einer so schwätzt
wie meine Mutter. Dann geht mir das Herz auf, und womöglich fang ich noch an zu heulen,
weil das immer so gut tut.
Wie Du lebe auch ich schon lange in Karlsruhe. Aber seit es eine Autobahn im Rheintal
gibt, ist der Weg in die Heimat nicht mehr so weit. Ich bin die Strecke oft gefahren. Wenn
die Umrisse vom Kaiserstuhl in der Rheinebene auftauchten, fing ich an zu singen. Und wenn
der Belchen über dem Münstertal grüßte, hörte ich Dich reden: Z' Müllen an der Post,
Tausigsappermost...! Am schönsten aber war es immer, wenn ich die Lücke hinaufkam und
hinabschauen konnte ins Wiesental und das Röttier Schloß sah.- Sag. werden Dir nicht auch
die Augen feucht, wenn ich das so erzähle?
Aber wenn ich schon einmal mit Dir reden kann, dann möchte ich auch zwei Fragen
loswerden, die mich schon lange bewegen. Du wirst es mir ja nicht übelnehmen, wenn ich
ein wenig kritisch nachfrage. Wer für die Öffentlichkeit schreibt, muß auch mit Kritik
rechnen. Auch mein eigenes Renommee ist derzeit in meiner Heimat am Kaiserstuhl nicht
das Beste. Denn ich habe einiges geschrieben über die Zeit, als die Synagogen brannten und
deutsche Soldaten über den Rest von Europa herfielen. Viele hätten das heute lieber
vergessen.- Aber auch Du hast ja einmal ins Wespennest hineingelangt mit der Erzählung
"Der fromme Rat". Da steht ein frommer Katholik auf der Brücke. Von rechts und von links
kommt gleichzeitig ein Pfarrer und trägt das allerheiligste Sakrament. Vor welchem soll er
sich nun verbeugen. Einer der Patres deutet zum Himmel: Vor dem dort oben!- Das ist
wirklich ein frommer und echt ökumenischer Rat, der auch heute noch Geltung hat.-
Offenbar war der päpstliche Nuntius damals nicht damit einverstanden. Und so ist es leider
bis heute geblieben: Zumindest bei manchen maßgeblichen Leuten in den oberen Etagen der
kirchlichen Hierarchie ist der konfessionelle Kirchturm wichtiger als "der dort oben".
Aber jetzt komme ich zu meinen Fragen:
In Deinem Gedicht "Vergänglichkeit" erzählt der Großvater seinem Enkel, daß am Ende
der Welt alles zerfällt wies Röttier Schloß und verbrennt. Er sagt: "Der Belche stoht
verchohlt. un dr Blaue au. as wie zwee alti Türn, un zwischedrin isch alles usebrennt bis tief
in Bode abe. D' Wiese het ke Wasser meh, s' isch alles öd un schwarz." Du weißt nicht, wie
recht Du hattest mit Deiner Vision. Heute ist es schon fast soweit. Wenn man auf dem
Belchen wandert, sieht man kranke und fast kahle Bäume. Und das schöne Wiesental ist
vollgebaut mit Häusern und Straßen, fast alles ist zubetoniert, die Wiese selbst im Sommer
fast ausgetrocknet.- Die Endzeit hat schon begonnen.- Und da setzt meine Frage ein: Ist das
wirklich alles, was wir Christen zu sagen und zu hoffen haben? Gibt es nicht noch eine andere,
eine bessere Zukunft, die uns verheißen ist?
Und dann noch etwas anderes: Uns bekümmerte in der Kirchenleitung oft der schlechte
Gottesdienstbesuch im Markgräflerland. Zwar versuchte ich, die hiesige Denkart im
Oberkirchenrat zu verteidigen. Aber manchmal wurde ich richtig zomig, wenn ich in einem
Visitationsbericht las, daß der Pfarrer im Wiesental am Sonntag allenfalls mit ein paar alten
Frauen und drei Konfirmanden rechnen kann, während die Frommen womöglich zur
Stadtmission oder nach St. Alban in Basel gehen. Manche führen diese Markgräfler Tradition
auf Dich zurück. Zwar hast Du im "Mann im Mond" gezeigt, was passiert, wenn einer
sonntags nicht zur Kirche geht, sondern in den Lieler Schlag, um seine Bohnenstecken
abzuhauen. Am Ende sieht man ihn oben im Mond: So goht's dem armen Dieterli, er isch e
g'strofte Ma!- Manche aber sagen. Du selbst seist zu liberal gewesen. Darum könnten sich
die Markgräfler mit Recht auf Dich berufen, wenn sie sagen: So schlecht bin ich nicht, daß
ich jeden Sonntag in die Kirche muß.- Gerne hätte ich auch dazu Deine Meinung gehört.
Schreib mir bitte bald, damit ich am 11. Mai Deine Antwort weiß. Auch wäre es mir recht,
wenn Du in Hochdeutsch schreiben würdest. Du verstehst mich sicher. Sonst fragen meine
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