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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
54.1992, Heft 2.1992
Seite: 133
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1992-02/0135
de Maßwerk der einfachen, großen Spitzbogenfenster' soll jenem an der Elisabethkirche zu
Marburg' nachgebildet sein. Insofern an beiden nur einfache Kreisfüllungen und Thorbogen
das Maßwerk bilden, ist das richtig. Aber wie sehr verschieden sind die Verhältnisse in den
Teilungen beider! An dem herrlichen Vorbild der große dominierende, hier ein kleiner,
eingezwängter Kreis (Abb. 2). Noch weniger dem Stile entsprechend sind die Gurtprofile und
Gesimse, vor allem das Dachgesimse ausgebildet. Geradezu verblüffend aber wirkt die
Durchkröpfung der letzteren an den vorderen Strebepfeilern zu Seiten des Hauptturms
(Abb. 3), ähnlich jener eines Gebälks antiker Composita-Ordnungen. Es wird dadurch eine
horizontale Durchschneidung des aufstrebenden Giebelfeldes geschaffen, wie sie ungotischer
nicht gedacht werden kann. Zu diesen Verstößen gegen den Stil zählen auch die
schwer drückenden Verdachungen der Seitenportale (Abb. 4). die Ausbildung der Dachflächen
, der Strebepfeiler u.s.f. Durch eine einfachere Gestaltung können diese Mängel nicht
begründet werden, denn der den Stil beherrschende Architekt wird in den einfachsten
Lösungen wie in reichster Durchbildung den Stilcharakter zu treffen wissen." (...) "Kurz: Der
Versuch, einen Beitrag zur Erlangung einer festen Form für den protestantischen Kirchenbau
zu liefern, darf hier als vollkommen mißglückt bezeichnet werden (...); ein Ergebnis, das uns
nicht wundert, die wir wissen, daß diesem Entwürfe nie ein gründliches Studium vorausgegangen
war. Mit anderen Worten: wir stehen hier vor einem sehr kostspieligen Lehrstück."
Im weiteren äußert sich der Verfasser über die seiner Ansicht nach überzogenen Kosten des
Baues. Er stört sich an vielen Arbeitsaufträgen, die an fremde, an nicht-badische Firmen,
vergeben werden.

Insgesamt eine auffallend herbe Kritik! Der unbekannte cd-Kritiker ist aber kein Laie: er
ist zweifellos vom Fach, hat Hintergründe, die von einer wohlfundierten Stilkenntnis zeugen.
Könnte es sich gar um Ludwig Diemer (1828-1894). Leiter der Evangelischen Kirchenbau-
inspektion in Karlsruhe, einen Schüler von Heinrich Hübsch, handeln?

Wozu aber berichte ich über diese barsche, vor hundert Jahren ausgetragene Pressefehde?
Es mag interessant sein, daß in der "guten alten Zeit" des Kaisers und Großherzogs durchaus
öffentlich sehr scharf und aggressiv miteinander umgegangen wurde. Ein anderer Gesichtspunkt
interessiert allerdings mehr: Wir erfahren deutlich -gelegentlich überdeutlich- Begründungen
und Wertungen, die in der damaligen Zeit üblich waren.

Der Konstanzer Kritiker hat durchaus gute, einleuchtende Gründe. Weitgehend bestehen
seine kritischen Auslassungen vor dem Hintergrund mittelalterlicher Originalarchitektur
zurecht. Die Schopfheimer Evangelische Stadtkirche hat sogar noch einige "Stilwidrigkeiten
" mehr als die damals in den Aufsätzen bemängelten und dann wieder zurechtgerückten.
Sowohl der Kritiker wie auch der planende Architekt berufen sich immer wieder auf
Beispiele historischer -in diesem Falle gotischer- Architektur. Für beide ist also Qualität an
historischer Korrektheit meßbar. Nur: war man wirklich bestrebt, um 1890 Kirchen zu bauen,
die in der Zeit der Gotik, also zum Beispiel um 1300. genauso hätten gebaut werden können?

Diese Zeit des sogenannten Historismus -hier genauer die der Neugotik- war in ihren
wirklichen Tendenzen sehr viel komplexer. In einer Spur gab es zweifellos, wenn auch
selten, das Bemühen. Nachbauten originaler Gotik zu erstellen. Gebäude solcher Art konnten
tatsächlich am historischen Beispiel gemessen und gewertet werden. Qualität war identisch
mit Stiltreue. Aber die galt beileibe nicht für alle neugotische Architektur. Oft und gerade
bei den interessanteren Beispielen wurde mehr Neugestaltung angestrebt, die gotische
Einzelmotive mit anderen kombinierte. Solch ein Werk an Mittelaltergotik messend zu
werten geht an der Sache vorbei: dies müßte nach heutiger Sicht dem Kritiker von 1892
entgegengehalten werden. Der damalige ausführende Architekt hat zwar in seinen verschiedenen
Entgegnungen diesen Aspekt nicht eingebracht, doch sollten wir dies an seiner Stelle
tun!

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