http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1992-02/0148
Zur Geschichte der Orgeln in der Evang. Stadtkirche
Schopfheim 1892-1992
Matthias Schneider11
I
Für den seit Mitte des 19. Jahrhunderts geplanten, im Jahre 1892 unter Mitwirkung des
badischen Großherzogs eingeweihten Neubau der Evangelischen Stadtkirche in Schopfheim
war auch der Bau einer neuen Orgel erforderlich. Der Großherzogliche Baudirektor Dr. Josef
Dürrn, der die Kirche plante und ihre Errichtung beaufsichtigte, orientierte sich hinsichtlich
der Architektur "an den frühesten Monumenten gothischer Baukunst in Deutschland"
(Dürrn). Er behielt es sich auch vor, das Orgelgehäuse zu entwerfen; für die Ausführung des
Instrumentes selbst wurden Angebote bedeutender Orgelbaufirmen eingeholt.
Das ausgehende 19. Jahrhundert wird im Orgelbau rückblickend häufig als Zeit des
Verfalls betrachtet. Die Dispositionen der Orgeln in dieser Zeit enthalten eine Vielzahl
grundtöniger 8 -Register. dazu nur wenige Stimmen in höheren Lagen. Der Klang, der sich
mit einem solchen Instrument erzeugen läßt, ist grundtönig und dunkel, zwar im pianissimo
färben- und nuancenreich, in größerer Lautstärke jedoch oft - zumindest im Vergleich zu
barocken Orgeln - dick und undeutlich. Zudem wurde am Ende des vorigen Jahrhunderts im
Bereich der Orgel-Technik vieles ausprobiert, was sich aus heutiger Sicht als Irrweg erwies:
zu aufwendige Technik ließ die Orgeln binnen kurzer Zeit anfällig für Störungen werden.
Bereits drei Jahrzehnte nach dem Bau der Schopfheimer Stadtkirchenorgel begann in
Deutschland die "Orgelbewegung", mit welcher der Name des elsässischen Organisten,
Theologen und Arztes Albert Schweitzer eng verbunden ist. Sie leitete eine Rückbesinnung
zum frühbarocken Orgelstil ein. Die Orgeln wurden in ihrem Klang heller und durchsichtiger
und damit geeigneter für polyphone Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, verzichteten aber
zugunsten mannigfaltiger Obertonregister und farbiger Zungenstimmen auf die für die
spätromantische Orgel charakteristischen Grundstimmen. Waren im Sog der industriellen
Revolution die Orgelbauer noch stolz darauf gewesen, ihre Werkstätten "Orgelbaufabrik"
nennen zu können, in denen neueste Methoden wie die der dampfgetriebenen Fertigung zur
Anwendung gelangten, so kehrte man nun zum handwerklichen Ideal früherer Zeiten zurück
und verstand den Orgelbauer als "Instrumentenmacher".
Die Orgelbewegung trug entscheidend dazu bei. daß heute die Musik aus der Zeit Bachs
und davor wieder auf stilistisch angemessenen Instrumenten interpretiert werden kann: auf
der anderen Seite fielen ihr viele spätromantische Instrumente zum Opfer, um deren Erhalt
wir heute froh wären. Erst in den letzten Jahren ist die Bedeutung der um die Jahrhundertwende
entstandenen Instrumente für die spätromantische Orgelmusik erneut erkannt worden
, etwa für die monumentalen Choralfantasien eines Max Reger (1873-1916) oder Sigfrid
Karg-Elert (1877-1933), die in ihrer Harmonik, ihrer ausladenden Chromatik, den oft
furiosen Rhythmen und der orchestralen Klangdichte ein gewichtiges Pendant zur spätromantischen
Orchestermusik bilden.
Die Geschichte der Schopfheimer Stadtkirchenorgel zeichnet die Orgelgeschichte des
späten 19. und des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll nach, hat die Schopfheimer Orgel doch alle
Strömungen des Orgelbaus in diesem Zeitraum erleben und erleiden müssen. Durch allerlei
"revolutionäre" Vorstellungen der Organisten und Sachverständigen ist das Instrument in
kürzester Zeit immer wieder erheblich umgebaut und umgestaltet worden. Der vorliegende
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