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zum Prälaten, d.h. zum höchsten Geistlichen dieser Kirche ernannt wurde. Er widmete ihr
seine "Biblischen Erzählungen", die als Schulbuch eingeführt wurden und lange im
Gebrauch blieben, und den von ihm gleichfalls als solches gedachten "Christlichen Katechismus
", der aber erst später nach seinem Tode veröffentlicht wurde. - Schließlich: zu Hebels
Lebenswerk zählt die Sammlung seiner Briefe, die den Leser nicht weniger fesseln als die
Hausfreundgeschichten.
All das zeigt, daß die Vertrautheit mit den "Alemannischen Gedichten" und dem
"Schatzkästlein" nicht hinreicht, um sich ein zuverlässiges Bild von Hebel zu machen;
vielmehr führt es auf die Frage: was war dieser Johann Peter Hebel, der sich auf so vielen
und unterschiedlichen Gebieten verantwortlicher Betätigung produktiv hervorgetan hat, für
ein Mensch? Zugleich läßt es ahnen, daß die Frage nicht leicht zu beantworten ist. Daß das
nicht leicht ist, liegt an Hebel selbst: man muß dies bemerken, um nicht allzu vertrauensselig
nach den Briefen zu greifen, erwartend, diese Selbstzeugnisse gäben die gewünschte
Antwort klipp und klar. Hat man erfaßt, warum sich das nicht empfiehlt, so hat man aber
schon den ersten Schritt zur persönlichen Bekanntschaft getan.
* * *
Seinen ersten ausführlichen Privatbrief hat Hebel im Dezember 1791. in seinem 32.
Lebensjahr und kurz nach der Versetzung von Lörrach nach Karlsruhe, von hier ins
heimatliche Oberland gerichtet. Es gibt also keine Jugendbriefe von ihm - nicht nur sind
keine erhalten, er hat auch keine geschrieben; wie sollte er auch? Im zweiten Lebensjahr hatte
er den Vater, im vierzehnten auch die Mutter verloren: sein Erbe, der Mutter kleines
Besitztum in Hausen an der Wiese, hatte so viel hergegeben, daß die Vormünder ihn nach
Karlsruhe auf dasselbe Gymnasium schicken konnten, an dem er später wirken sollte, und
nach Schulabschluß zum Theologiestudium nach Erlangen. Das Schlußexamen mußte er
wieder in Karlsruhe ablegen - strebte er doch ein Pfarramt im Badischen an. Mit sehr
mäßigem Erfolg bestand er und kehrte ins Oberland heim, kam aber - weil er nun wirklich
kein Parade-Kandidat war - lange nicht zu Amt und Brot. Erst nach drei kümmerlichen Jahren
als Hilfskraft des Pfarrers zu Hertingen wurde er als "Präzeptoratsvikar" ans Lörracher
Pädagogium geholt. - Nun sind die Jahre zwischen dem vierzehnten und den frühen
Zwanzigern diejenigen, in denen Freundschaften geschlossen werden. In der Folge einschneidender
Entwicklungsschübe und beunruhigender Anfechtungen braucht und sucht der
Werdende einen Gleichgesinnten, dem er sich anvertrauen kann, sei es im Gespräch, sei es
im Briefwechsel mit dem Entfernten. Wir wissen aber von keinem Jugendfreund Hebels.
Und die Mutter war tot. Wem also hätte er Bekenntnisbriefe schreiben, von w em sich Rat und
Zuspruch erbitten sollen - als Karlsruher Gymnasiast und als Erlanger stud. theol.? Später,
in Hertingen und vollends in Lörrach ging er - nun in den Zwanzig - freundschaftliche
Bindungen ein. aber da er die Freunde sozusagen in Rufweite hatte, erübrigte sich die
Korrespondenz. Zudem war er nun ein junger Mann, einer, dem in der Pubertät und im
Jünglingsalter nichts übrig geblieben war, als das. was ihn umtrieb und anfocht, beglückte
und bedruckte, mit sich selbst abzumachen: wer aber in den eigentlichen Werdejahren dieses
Schicksal gehabt hat. der ist es als Erwachsener gewöhnt, auf sich allein angewiesen zu sein
und keiner Seele, sei es schriftlich, sei es mündlich mit seinen persönlichsten Dingen in den
Ohren zu liegen.
Zu Hebels allerpersönlichsten Angelegenheiten zählt die zarte Neigung zu Gustave
F e c h t, der Empfängerin jenes ersten Privatbriefs vom Dezember 1791. Sie war die
Schwägerin des Theologen Tobias G ü n 11 e r t. des Leiters der Lörracher Schule, also des
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