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Vorgesetzten Hebels. In der Folge wurde Günttert Pfarrer zu Weil am Rhein: Gustave zog
mit und verbrachte ihr ganzes Leben im Pfarrhaus, und in den vielen Briefen, die der
Subdiakonus. Diakonus. Professor und Direktor, der Kirchenrat und Prälat Hebel im Lauf
von 35 Jahren an dieses Pfarrhaus abschickt, ist zumeist und vor allem Gustave gemeint. Wie
der schon genannte erste gilt ihr auch sein letzter vom 9. September 1826. unterzeichnet mit
"Ewig Ihr H." Alles deutet darauf, daß sie in dieser langen Zeit auf seine Werbung gewartet
hat und dieselbe nicht ausgeschlagen hätte, alles auch darauf, daß er sich an sie gebunden
wußte. Daß wir nicht mit Sicherheit sagen können, warum er nicht um sie warb, liegt an dem
zuvor Gesagten: nicht einmal dem nächsten Freund und einzigen Duzfreund und Mit-
Proteuser Hitzig verriet er - wenigstens schriftlich - ein Sterbenswörtchen über diese
Herzensbindung. ("Einziger Duzfreund" ist nicht ganz korrekt. Daß Hebel auch den zwei
Jahre älteren Theologen Karl Friedrich Sievert duzt, rührt vermutlich daher, daß beide
zwischen 1774 und 1778 am Karlsruher Gymnasium Schul-, vielleicht Klassenkameraden
waren. Aber die drei Briefe, die Hebel an Sievert geschrieben hat. sind - trotz der Anrede
"Herzensfreund" - lange nicht so freundschaftlich und vertraulich wie die an Hitzig. Günttert.
Engler-"Angelico" und Haufe, vielmehr gemessen an diesen reserviert und formell.) Daß es
keine Jugendbriefe Hebels gibt und daß er in den Briefen aus Mannesjahren das Herz nicht
auf der Zunge trug, hat also den nämlichen für seine persönliche Charakteristik erheblichen
Grund. Hinzu kommt, daß nur die Briefe aus seiner Feder erhalten sind, nicht die an ihn
gerichteten, an denen ihm so viel gelegen war. daß er. wenn sie längere Zeit ausblieben, die
Säumigen im heimatlichen Oberland dringlich anmahnte. "Das Briefschreiben wird, wenn
es nicht aus Notwendigkeit oder Langeweile geschieht, einzig durch das Verlangen nach den
abwesenden Freunden erzeugt", schreibt der 46-jährige einmal an seinen einstigen Schüler
und nunmehrigen Freund Gottfried H a u f e in Straßburg. Der sich in der Residenz und ihrem
von ihm "Welschkornland" genannten Umland zeitlebens nach dem Raum zwischen
Freiburg. Basel und Lörrach Sehnende braucht den Briefverkehr mit den dortigen Freunden
wie die Luft zum Leben. Wie viel besser verstünden wir seine Briefe, wenn uns die
Freundesbriefe vorlägen, auf die er antwortet!
Daß er alles, was er irgend kann, mit sich selber abmacht, ist doch nur das Eine. Längst
zum Karlsruher Honoratiorenkreis zählend, schreibt er einmal an Hitzig: "Die Karlsruher
scheinen ehrlich zu sein, sie vermummen sich nicht. ... O Philistaea!" Ist solche Ehrlichkeit
Kennzeichen des Philisters? Vermummt sich der Nichtphilister. insbesondere der Nichtphi-
lister Hebel? Um dieselbe Zeit reiste er gern zur Kur nach Baden-Baden. Darüber berichtet
er: "Die Abende brachte ich im Bierhause unter den Kutschern und Lakayen der Grafen und
Barone vor. mit welchen ich zu Mittag speiste". Und das Jahr drauf: "Hab ich nicht an der
Tafel mich den Graven gleichgeachtet, und mit dem König von Bayern auf der Promenade
in die nämliche Lotterie gesetzt, und den Abend im Lamm bei den Handwerksburschen
zugebracht?" In den Alemannischen Gedichten werden die "Lüt" - das einfache Volk - von
den "Heerelüt" - den Vornehmen unterschieden: zu welcher Schicht rechnet Hebel sich
selbst, da es ihm behagt. sich mit den Lüt gemein zu machen und mit den Heerelüt zu tafeln?
In den Briefen an Gustave im Weiler Pfarrhaus beschränkt Hebel sich nicht darauf, von
seinem Junggesellenhaushalt, von seinen kleineren und größeren Reisen, vom Schuldienst
und von den Predigten zu erzählen, die er in den ersten Karlsruher Jahren noch gelegentlich
(offenbar mit wenig Lust) zu halten hat. sondern er vergegenwärtigt die Welt der lieben
Adressatin. beschreibt ihre Stube, das Haus und den Garten und das umgebende Weinland,
so wie es da zur Zeit seines Schreibens, im Spätwinter oder im sonnigen Herbst, aussieht, was
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