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Ausdruck: "Glaube an Gott, an die Seelenunsterblichkeit und an Vergeltung nach dem Tode für
das Unvergoltene vor dem Tode" - "die drei wichtigsten und heiligsten Glaubenslehren"! Eine
dürrere, das spezifisch Christliche ärger verkürzende Formulierung ist kaum denkbar. Gewiß
gibt es andere Formulierungen, so wieder in einem Brief an Hitzig den Vergleich der
Orthodoxie mit einem "durchsichtigen Hemdlein", welches "das schöne nackte Evangelium
deckt", und der Dogmen mit dem "ehrwürdigen Rost und Grünspan, der sich in der Reihe der
Jahrhunderte zuerst an dem Evangelium angesetzt u. hernach eingefressen hat. Man kann ihn
nicht mehr rein wegschaben, ohne etwas von dem edlen Metall anzukratzen. Man kann dieses
nur noch in seiner Cruste conserviren". Wenn wir die "Biblischen Erzählungen" lesen, in
denen Hebel die Kunst der kleinen Erzählform ebenso erprobt wie als Hausfreund (und
auch als Briefschreiber), dann vernehmen wir noch etwas vom schönen nackten Evangelium:
nicht so beim Studium des "Christlichen Katechismus", dieser trockenen Laiendogmatik.
deren 156 Paragraphen in Fragen und Antworten gegliedert sind; jene stellt der Katechet,
diese soll der Katechisierte geben. Es ist schwer vorzustellen, daß Hebel selbst sie gegeben
hätte: aber formuliert hat er sie. Er hatte einen Affekt gegen die "erzvesten Lutheraner", die
das schöne Fest Allerseelen nicht feiern wollen, weil es sich aus der Bibel nicht rechtfertigen
läßt. Aber den erzfesten Reformierten ist er auch nicht grün. Doch Biblische Erzählungen und
Katechismus sind als Lehrbücher für den Unterricht junger lutherischer und reformierter
Christen gedacht. Also dürfen sie nichts enthalten, was mit der Theologie des einen oder des
anderen Bekenntnisses streitet. Daraus aber folgen Denkschwierigkeiten, auf die der
aufmerksame und kritische Leser besonders des Katechismus stößt, Unvereinbarkeiten,
wofem der Verfasser das nämliche Lehrstück einmal im Sinn der Lutheraner, dann in dem
der Reformierten vorträgt, als wolle er uns bedeuten: man kann es auch so sagen. In der Tat
kann man es nicht so und zugleich anders sagen - es. nämlich zum einen die Lehre von der
Gnadenwahl und zum andern die von der Transsubstantiation. Das sind nun einmal die
Lehrstücke, über die Lutheraner und Reformierte sich nicht zu verständigen vermögen, und
wenn der Katechismus so aufgebaut und formuliert ist, als gebe es hier überhaupt keine
Schwierigkeiten, dann könnte man, wenn man boshaft sein wollte, von religionsdidaktischer
Augenwischerei sprechen. Weil ich nicht boshaft sein will, erinnere ich an die oben zitierten
Vergleiche: in seinem Katechismus war es Hebel eben nicht um das ihm allein teure schöne
nackte Evangelium und edle Metall zu tun. sondern nur um seine Konservierung unter der
Kruste Orthodoxie oder Dogmatik.
* * *
Gegen das Zerrbild vom heiteren Idylliker Hebel habe ich mich schon erklärt. In das Bild,
das an seine Stelle zu setzen ist. gehören zwei Hauptzüge. Zum einen sein
Epikuräertum. Man muß das Wort nur richtig verstehen, um jenen Lobpreis des
Landpfarrerdaseins im Briefgedicht an Gyßer n i c h t als Beleg heranzuziehen. Der
Epikuräer. das ist nicht der Schlemmer und Schwelger. der sich an keiner Lust ersättigt,
sondern der Lebenskünstler, der sich vielleicht nur einen bescheidenen Aufwand erlauben
kann, der aber das. was er sich mit diesem gönnt, fröhlich genießt, ohne sich den Genuß durch
den Neid auf einen andern verderben zu lassen, welcher sich vielleicht das Zehnfache leisten
darf. So der deutsche Handwerksbursche, den es nach Amsterdam verschlagen hatte, wo er
das prachtvolle Patrizierhaus und am Hafen den mit Einfuhrgütern vollgeladenen Ostindiensegler
bestaunte und endlich dem Trauerzug begegnete und in allen drei Fällen auf seine
Frage nach dem Besitzer jener Herrlichkeiten und nach dem Toten, der da zu Grabe getragen
wurde, die nämliche Antwort erhielt: "Kannitverstan". So beschieden vesperte er "leichten
Herzens ... in einer Herberge, wo man Deutsch verstand", und wenn ihm wieder einmal der
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