http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1992-02/0186
zwar als offener Raum der sprachlichen Begegnung, was zugleich bedeuten soll: Sprachoffenheit.
Vermittlung, Austausch. Eine postnationale Euro-Region. Grenzenlos. In diesem Sinn (und
ich betone es: nur in diesem Sinn) möchte ich als Elsässer darauf hindeuten, daß die
Bundesrepublik keine Hemmungen mehr haben soll, die deutsche Sprache im Elsaß zu fördern,
in der Schule (durch Einsatz und Austausch von Lehrkräften) wie im Literatur- und Kulturleben.
Ich habe das schon einmal öffentlich gesagt, es ist mir bei uns vorgeworfen worden, ich
wiederhole es hier und heute. Ängstliches Verschweigen oder scheue Zurückhaltung sind
Zeichen eines Rests von "unbewältigter Vergangenheit".
Dabei soll hervorgehoben werden (wir haben bei unseren alemannischen Freunden nicht
immer Verständnis dafür gefunden), daß wir im Elsaß die Mundart nicht im Gegensatz zum
Hochdeutschen auffassen, wir wollen sie ja auch nicht dem Französischen entgegenstellen.
Ihre Funktion ist eine andere, eigentlich eine doppelte: Ausdruck des Eigenen - in der
poetischen Sprache soll das Kreative dieses Ausdrucks erhalten bleiben - und Zugang zum
Hochdeutschen, denn nur von der Mundart aus ergibt sich für uns dieser natürliche Zugang,
ohne die Mundart ist Deutsch im Elsaß wirklich Fremdsprache. Die Trennung von "dialecte"
und "allemand" (wobei die alte Bezeichnung "Elsasserditsch" verdrängt wurde) war eine
Strategie der Assimilation, führt zur Isolierung und Archaisierung, schließlich zur Verkümmerung
. Traditionell meinten Dialektologen, die von der Hochsprache isolierte Mundart
würde "reiner" erhalten bleiben in ihren spezifischen Aspekten: die elsässische Realität
(durch politische und gesellschaftliche Faktoren bestimmt) beweist deutlich genug die
negativen Auswirkungen in einem elsässisch-französischen Mischmasch ("code switching",
wie die Linguisten sagen, nicht als Zeichen sprachlicher Mobilität, sondern der Sprachnot.
der Spachlosigkeit). So lautet unsere Definition der "langue regionale": Elsässerdeutsch und
Hochdeutsch. Dies ist nun von der Schulbehörde anerkannt, so von Recteur Pierre Deyon,
1985, in jenem denkwürdigen Satz: "II n'existe en effet qu'une seule definition scientifiquement
correcte de la langue regionale en Alsace, ce sont les dialectes alsaciens dont l'expression ecrite
est 1'allemand". Doch müssen wir bei uns immer wieder daran erinnern, daß Deutsch in dieser
doppelten Form nicht bloß "Sprache des Nachbarn" ist. sondern (was im offiziellen Gerede bis
auf deutsch-französischem Kulturgipfel gern vergessen wird) Sprache des Landes. Davon zeugt
unsere Literatur in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart. Es ist bemerkenswert, daß die
Renaissance der elsässischen Dialektpoesie auch zur Erneuerung der hochdeutschen Literatur
führte mit dem Ziel, ein anderes Deutsch zu schreiben, in lebendiger Verbindung mit der
angestammten Mundart, im Ausdruck der besonderen Situation und der angestrebten deutschfranzösischen
Zweisprachigkeit.
Darf ich nun als Elsässer zu all dem Gesagten auf Johann Peter Hebel zurückgreifen?
Ich möchte hier nicht (wie das klassische Sprichwort sagt) Eulen nach Athen tragen.
Awer i mächt noch in minra (unsra) Sproch a Wort iwer unser liawa Hüsfrind säga, un do
kä n i uf a Kindheitserinnerung z'ruckgriffa: 's isch fir mich wia n a Liachtblick üs saller
schwara Kriagszit. M'r han in unsrem elsassischa Sundgäidorf a Zitläng a Schüalmeischter
g'hä. wu (so vill äs i weiß) üs d'r Lörrächer Gegend kumma n isch. un bi dam hä n i sallamols
a Gedicht vom Hebel g'lehrt un bim Schüalfascht ufg'sait. As sin dia bekännta Varsla g'sii.
wu n i sidderhar niameh vergassa hä:
"Na Gsäng in Ehra,
wer will's verwehra?
Singt 's Tiarla nit in Hurscht un Näscht"...
Ja, so klang, so klingt diese "Freude in Ehren" in meiner alemannischen Mundart. Wenn
ich diese Verse aus der Kindheit auch nicht mehr vergaß, so blieb mir jedoch das Werk Hebels
allzulang unbekannt, der Zugang blieb verschüttet durch jene Verdrängung des Deutschen
(nach dem traumatischen Erleben der Nazizeit und dem dadurch ermöglichten Erfolg der
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