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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
55.1993, Heft 2.1993
Seite: 35
(PDF, 31 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-02/0037
Diese Gedichte zeigten mir die eigene Welt. Die darin erscheinenden Gestalten waren mir
bekannt, der tumbe Junge, der Engel im Silberstaubgewand, der später, viel später für mich zum
Engel wurde, den man nicht läßt, bis er einen segnet. -

Der im Schneetreiben gehende Mann - näherte, entfernte er sich? - war unser Nachbar. Die
Örtlichkeiten in der Dichtung waren identisch mit Orten der eigenen Umgebung. Bei der Umzäunung
eines Bauerngartens waren mir die weißbemützten Pfosten aufgefallen, und während
eines langwährenden Schneefalls hatte ich die Häuser unter den weißen Dächern in die vermummte
Erde zurücksinken sehen. Von ihnen blieben in der blauen Dämmerung nur ein paar
gelbe Lichter übrig. Realität und Dichtung verwiesen aufeinander und vertieften gegenseitig
das sowohl Heimliche wie Herrliche von Erscheinungen, für die ich damals noch keine Worte
hatte"131.

Am 10. Mai 1980 erhielt der 1905 in Bulgarien geborene Elias Canetti den Hebel-Preis. Über
seine Begegnung und Erfahrung mit Hebel sagte er in seiner Dankrede:

"Im Alter von 13 Jahren bin ich dem 'Schatzkästlein' begegnet, als ich in Zürich die
Kantonsschule besuchte. In dieser Schule habe ich erlebt, was gute Lehrer bedeuten. Doch der
beste Lehrer, den ich damals hatte, war Johann Peter Hebel. Heute vor 220 Jahren kam er zur
Welt. Es gibt nicht viele, die so lange nach ihrem Tod Lehrer blieben. Er hat die Gabe, die man
sich von einem Lehrer wünscht: er spricht anschaulich, und er spricht zu jedem. Er ist
wißbegierig und hat viel gelernt, aber man merkt es nur. wenn er ein Stück Wissen weitergibt:
das erklärt er dann so. daß man es nie vergißt. Er nimmt jeden ernst, und bevor er zu ihm spricht,
hat er ihn auch gehört, nicht zu einem engen Zweck, sondern weil er daran Anteil nimmt, was
jeder treibt. Wer im 'Schatzkästlein' liest, hat nie das Gefühl, daß es ein Geringstes gibt, über
jeden weiß er etwas Merkwürdiges zu berichten, jeder zählt, weil jeder sein Leben hat, das gilt
nicht nur für alle Arten von Menschen, es gilt auch für den Maulwurf, für Spinnen und
Eidechsen, es gilt selbst für Planeten und Kometen, als ob auch sie ein Leben hätten.

Seine Sprache ist so, als wäre sie um seinetwillen eben entstanden. Ihre Frische sucht in der
Literatur ihresgleichen. Er kennt keine müden Worte, sie erschlaffen so wenig wie sie vor
Hochmut bersten, und was man von Sprache überhaupt denken möchte, bei ihm ist es Wahrheit
geworden: jede Geschichte, die man von ihm liest, erfüllt und entläßt einen mit Erwartung"14'.

Der Schweizer Schriftsteller Peter Bichsei, 1935 in Luzern geboren, hat in seiner Dankrede
zur Verleihung des Hebelpreises 1986 Hebels Wesen und Wirken so skizziert:

"Ein Hausener hat mir gesagt, daß ich doch bitte kurz sprechen solle. Weil über Hebel schon
alles gesagt sei. kämen die Gescheiten in ihren Reden auf die verrücktesten Details, und das
wäre ja dann der Hebel auch nicht mehr.

Recht hat er, so wie auch der Hanspeter Hebel ein Recht daraufhat, daß wir ihn nicht kennen
- daß er noch ein ganz anderer sein darf als der. den wir zu kennen glauben. Ganz unschuldig
ist aber der Johann Peter Hebel nicht dafür, daß uns der Hanspeter so interessiert. Der
Hausfreund bietet sich uns immer wieder körperlich an. er kommt und schaut selber nach. Ich
verstehe ihn - glaube ich vorschnell - so gut. daß ich selbst glaube, so zu sein wie der Hebel
selbst. Das führt dann zum allgemeinen Hebelmißbrauch, und jeder entschiedene Fanatiker
reklamiert ihn dann für sich: der Patriot und der Volkstümler, der Soziale und der Religiöse und
selbstverständlich auch ich. Er hat sich das selbst eingebrockt - und es geschieht ihm recht. Das
hat Walter Benjamin freundlicher ausgedrückt, wenn er in seinem Essay 'Der Erzähler', in dem
auch viel von Hebel die Rede ist, zu dem Schluß kommt: 'Der Erzähler' ist die Gestalt, in
welcher der Gerechte sich selbst begegnet. Davon hat Hebel offensichtlich gewußt. Seine Prosa
ist kalkuliert, er setzt seine Mittel bewußt ein. Der Erzähler Hebel wirkt bescheiden, aber im
Grunde genommen kann er sehr eitel sein. Die Autorität des Hausfreundes ist ihm selbstverständlich
. Man muß ihn anschauen, diesen Mann. Er ist kein skurriles Männchen vom Belchen.
sondern ein schöner, stattlicher Mann. Seine Beamtenkarriere mag auch damit zu tun haben.

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