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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
55.1993, Heft 2.1993
Seite: 149
(PDF, 31 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-02/0151
Breisgau gelegene Stadt Kenzingen 1249 das Freiburger Stadtrecht praktisch ohne Veränderungen
verliehen bekam, unterschieden sich die Verfassungen beider Städte wenige Jahrzehnte
später erheblich. Freiburg hatte nämlich mit der Ausbildung der Zünfte schon im 13. Jahrhundert
eine Entwicklung vollzogen, die in Kenzingen erst 1350 nachzuweisen ist. Auch in Neuenburg
finden wir 1292 noch keinen Hinweis auf Handwerkszünfte. So ist also das Neuenburger
Stadtrecht das individuelle Recht der Stadt zu Ende des 13. Jahrhunderts.

Die 102 Paragraphen sind ohne Numerierung und zum Teil willkürlich aneinandergereiht.
Eine strafrechtliche Bestimmung folgt auf eine wirtschaftsrechtliche, ohne erkennbares
Konzept oder klare Gliederung durcheinandergeschrieben. Wie ist dies zu erklären?

Das Neuenburger Stadtrecht entstand in einer Zeit, in der erst allmählich immer mehr
Menschen zu schreiben begannen. Blicken wir nochmals ein bis zwei Jahrhunderte zurück und
wenden wir uns dem 11. oder 12. Jahrhundert zu. Damals konnten nur Kleriker, also Mönche
und Geistliche, schreiben und lesen. Pragmatische Schriftlichkeit. Schreiben als Gedächtnisstütze
oder zur Rechtssicherung von Verwaltung und Wirtschaftsleben waren noch nicht gebräuchlich
. Wer beispielsweise um das Jahr 1100 einen Acker verkaufte oder einem Kloster schenkte,
übergab dem neuen Besitzer einige Grashalme oder ein Stück Scholle des betreffenden
Grundstückes. Damit war der Handel rechtskräftig. Zur Rechtssicherung zog man allenfalls
einige Zeugen hinzu. Symbolische Handlungen und Augenzeugen bestimmten das Leben der
damaligen Menschen. Vor Gericht galt ein Stück Pergament nichts, es sei denn, es handelte sich
um eine Königs- oder Papsturkunde. So verwundert es nicht, wenn aus den ersten 100 Jahren
der Neuenburger Stadtgeschichte nur wenige Schriftdokumente überliefert sind. Ganz typisch
ist in diesem Zusammenhang auch, daß die Neuenburger Gründungsgeschichte eben nicht in
einem zeitgenössischen Dokument aus der Mitte des 12. Jahrhunderts überliefert ist. sondern
erst eineinhalb Jahrhunderte später im Güterbuch des Klosters Tennenbach niedergeschrieben
wurde. Wenn aber 1292 ein Stadtrecht schriftlich fixiert wurde, so bedeutete dies nicht, daß ihre
Vorfahren eineinhalb Jahrhunderte lang ohne jegliche Rechtsgrundlagen, quasi nach dem
Faustrecht gelebt haben. Das Zusammenleben der Neuenburger Bürger verlief auch vor 1292
nach bestimmten Regeln des Gewohnheitsrechtes und der mündlichen Überlieferung. So
finden wir beispielsweise keinen Hinweis auf die Zusammensetzung des städtischen Rates
sowie die Rekrutierung einzelner Ratsmitglieder. Wer wurde in den Rat aufgenommen? Wer
wählte die neuen Räte aus? Der König als Stadtherr, die Räte selbst oder gar das Volk? Wir
wissen es nicht genau, wir können es nur erschließen. Aber den damals lebenden Menschen war
dies bekannt. Rechte, die die Menschen seit langem befolgten, mußten noch nicht eigens
niedergeschrieben werden. Sie waren ja bekannt und damit auch gültig. Man lebte danach,
warum sollte man sie dann noch aufschreiben. Ebenso wurden einzelne Paragraphen bewußt
von städtischer Seite nicht ausdrücklich schriftlich fixiert. Dies werde ich später am Schultheißen
- und Bürgermeisteramt näher ausführen. Auch eine systematische Ordnung der
Paragraphen war nicht notwendig. Die Kürze des Stadtrechts ließ die gesuchten Textstellen
schnell auffinden.

Betrachten wir nun einige Details des Stadtrechts näher. In der Stadt lebten damals drei
Gruppen von Menschen, die rechtlich unterschiedlich gestellt waren. Das Stadtrecht nennt sie:
"civis - indigena - extraneus". also Bürger. Einwohner und Auswärtige. Rechtlich bei weitem
am besten gestellt waren die Bürger. Sie verfügten über ein volles, an Hausbesitz gekoppeltes
Bürgerrecht. Insbesondere bei strafrechtlichen Verfahren und Gerichtsprozessen in Neuenburg
war das Bürgerrecht von großem Vorteil. Beispielsweise durfte ein verdächtiger Bürger nicht
willkürlich verhaftet werden, außer wenn er auf frischer Tat ertappt wurde. Auswärtige oder
Einwohner ohne Bürgerrecht konnten hingegen jederzeit festgehalten werden. Ihre Freilassung
mußte erst nach erwiesener Unschuld erfolgen. Nur ein Bürger konnte gegen einen Bürger vor
Gericht als Zeuge auftreten. Falls ein Bürger einen Mitbürger in der Stadt beraubt oder tätlich

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