http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1994-01/0082
Schlußüberlegungen
Brants "Narrenschiff' war von Anfang an ein Bestseller. Noch im Erscheinungsjahr
gab es in Nürnberg. Reutlingen, Augsburg und Straßburg Nachdrucke. 1495 erschien
die Zweitauflage in Basel. Übersetzungen ins Lateinische. Französische, Niederländische
und Englische machten das "Narrenschiff" zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu
einem europäischen Bucherfolg, der im 18. Jahrhundert dann stark nachließ. Mit
Friedrich Zarnckes Ausgabe von 1854 besinnt die moderne wissenschaftliche Aus-
einandersetzung mit dem "Narrenschiff' und dessen Renaissance.
Der Narr als literarisches Motiv wurde vor allem im oberrheinischen Kulturraum
aufgenommen, weiterentwickelt und entfaltet. Von 1498 - 1510 predigte Johann
Geiler von Kaisersberg in Straßburg über Brants "Narrenschiff'. "Das Lob der
Torheit" des Erasmus von Rotterdam (1509) überragte die nachfolgenden "Narrenwerke
" des Thomas Murner von 1512 und 1519 sowie die des Pamphilus Gengenbach
(1480-1524, Basel). Im siebzehnten Jahrhundert präsentierte Grimmelshausen seinen
"Simplicissimus" (1668) als Narren, als Naiven, als Schelm.
In der närrischen Welt des 20. Jahrhunderts besesnen wir dem Narren dann als
Clown in Becketts Absurdem Theater, in Heinrich Bolls "Ansichten eines Clowns"
(1963) oder als simulierenden Irren in Dürrenmatts Komödie "Die Physiker" (1962).
Mit seinem Hinweis auf Hieronymus Bosch (1450-1516) spannt Dürrenmatt in
seinem Aufsatz "Theaterprobleme" von 1955 den Bogen vom 20. ins 15. Jahrhundert
zurück:
Uns kommt nur noch die Komödie bei. Unsere Weh hat ebenso zur Groteske geführt
wie zur Atombombe, wie ja die apokalyptischen Bilder des Hieronymus Bosch auch
grotesk sind. (...) und genau so wie unser Denken ohne den Begriff des Paradoxen
nicht mehr auszukommen scheint, so auch die Kunst, unsere Welt, die nur noch ist,
weil die Atombombe existiert, aus Furcht vor ihr.
Quellen und Primärtexte:
Sebastian Brant: Das Narren Schyff. Basel 1494. Universitätsbibliothek Basel. Ai II 22
Sebastian Brants Narrenschiff. Hrsg. von Friedrich Zamcke. Leipzig 1854
Sebastian Brant: Das Narrenschyff. Faksimiledruck für die Gesellschaft der Bibliophilen. Besorgt von
Hans Koegler, Basel 1913
Sebastian Brant: Das Narrenschiff - in heutige Sprachform übertragen und mit Anmerkungen versehen
von Margot Richter. Berlin 1958.
Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Hrsg. von Manfred Lemmer. Tübingen 1962, 3. erw. Auflage 1986.
Sebastian Brant: Das Narrenschiff, übertragen von H.A. Junghans, durchgesehen und mit Anmerkungen
sowie einem Nachwort neu herausgegeben von Hans-Joachim Mahl, Stuttgart 1964
Sebastian Brant: La Nef des Fous. Strasbourg 1977
Sebastian Brant: Einige deutsche Gedichte, mitgetheilt von Karl Schmidt. Colmar 1875
Des Sebastian Brant Flugblätter, hrsg. von Paul Heitz und Franz Schultz. Straßburg 1915
Johann Geiler von Kaisersberg: Predigten über Brants Narrenschiff. in: Das Kloster, hrsg. v.J.
Scheible. Stuttgart 1845, S. 214 ff. und 748 ff.
Horaz: Satiren und Episteln, lateinisch und deutsch von Otto Schönberger. Berlin 1976
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