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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
56.1994, Heft 2.1994
Seite: 187
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kindlich jeden Baum, jeden Felsen belebt, den Monaten Gestalt und Rede giebt. und
wodurch er am Himmel und auf Erden überall seines gleichen findet"Und Jean
Paul schrieb im gleichen Jahr: "Unser allemannischer Dichter ... hat für alles Leben
und alles Sein das offne Herz, die offnen Arme der Liebe, und jeder Stern und jede
Blume wird ihm ein Mensch":4'. Goethe stellte dann zwei Jahre später in seiner
Besprechung fest, daß der Dichter durch "glückliche Personificationen seine Darstellung
auf eine höhere Stufe der Kunst herauf zu heben" weiß.

Erlauben Sie mir. daß ich Ihnen kurz einige dieser "glücklichen Personificationen"
in Erinnerung rufe: Die abstrakten Begriffe wie die Mitternacht, der Samstag, der
Sonntag, der Jänner sow ie die Jahreszeiten werden vermenschlicht, und am Himmel
finden wir - wie es in Goethes Rezension heißt - die großen leuchtenden Körper "als
gute, wohlmeinende, ehrliche Landleute". So wird im "Sommerabend" die Sonne zur
großen Mutter, die am Abend müde ist wie eine Wiesentäler Bäuerin. Und ihr Mann,
der Mond, ist "ihr redli Huuschrütz". denn wenn sie heimkommt, geht er stets fort. Ihre
beiden Söhne sind der Morgen- und der Abendstern, von denen sie den Abendstern
lieber hat. weil er ihr nachläuft und nicht vor ihr flieht. Im "Habermus" kommt die
Sonne mit der "Strickete" hinter den Bergen hervor, und von den Feldhütern Heiner
und Fritz wird der Mond als Schulmeister mit wolkiger Stirn und gelehrtem Gesicht
gesehen.

Hebels großartigste Vermenschlichung von Naturdingen ist natürlich die Wiese.
Goethe bezeichnet sie "als ein immer fortschreitendes und wachsendes Bauernmädchen
... das. nachdem es eine sehr bedeutende Berggegend durchlaufen hat. endlich
in die Ebene kommt, und sich zuletzt mit dem Rhein vermählt". Hebel selbst nennt sie
in einem Brief an Hitzig von Ende Dezember 1802 seine "Pflegetochter", und 1815
bittet er den Freund, sein Bild in den Schoß des heimatlichen Flusses zu legen (Brief
vom 6. Februar 1815).

Jeremias Gotthelf ist in seinem Naturgefühl und seiner Naturgestaltung Hebel
verwandt, doch während der letztere eine freundliche, mit dem Menschen verbundene
Natur darstellt, ist diese bei Gotthelf oft eine grausame Macht, mit welcher der Bauer
ringt. So heißt es in "Käthi. die Großmutter", daß "die wilde Emme ... von Zeit zu Zeit
dem Menschen ins Gedächtnis ruft, daß sie des Tales Mutter sei. und zwar eine
gewaltige und zornige"25). In der "Wassernot im Emmental" wird der Fluß dann
plötzlich zu einer rasenden Schlange, die Wälder mit sich fortträgt. Matten verschlingt
. Häuser unterspült und mit "gewaltigen Armen" eine Brücke wegreißt. Mit
einer "frechen Stirn" wütet die "brüllende Emme" durch das Tal. das sie gegraben hat.
und als "wilde Jungfrau" schnaubt sie die Bewohner Burgdorfs an. Schließlich eilt sie
dann "brünstig in die Arme ihrer älteren Schwester", der Aare26'. Welch ein Gegensatz
zu Hebels Darstellung der Wiese!

Im "Silvestertraum" beschreibt Gotthelf dann die Aare, die weit weniger gewalttätig
ist und eher der Wiese gleicht. So spricht er "von der klaren, blauaugichten Aare,
der schönen Berner Oberländerin. die. eine bald sittige. bald mutwillige Braut, ihrem
berühmten Bräutigam, dem mächtigen Sohne der Graubündner Berge, dem edlen
Rheine, entgegenzog. reichen Brautschatz mit sich führend. Dem edlen grünen

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