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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
57.1995, Heft 1.1995
Seite: 128
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1995-01/0130
Gänse hatten das Fett zentimeterdick unter der Haut. Das ganze Fettgewebe wurde
in kleine Stücke geschnitten und ausgelassen, dabei schwammen dann die Grieben
oben drauf. Man hat sie mit etwas Fett abgeschöpft und in den nächsten Wochen
als Brotbelag verwenden können. Wie gesagt, darauf habe ich mich als Kind das
ganze Jahr schon gefreut, und was den Rest der Gans anbelangte, das war für mich
nichts Außergewöhnliches mehr, es gab halt gebratene Gans.

Vom zweiten Sederabend an beginnt man. ..Omer" zu zählen. Das macht man
dann jeden Abend beim Gebet, fünfzig Tage lang. Und am fünfzigsten Tag ist
dann Schevuaus, es entspricht dem Pfingstfest im christlichen Kalender und ist
nach Pesach das zweite Wallfahrtsfest. Außerdem feiert man an Schevuaus die
Übergabe der Thora. des Gesetzes, an die Juden durch Moses auf dem Berg Sinai.
An diesem Feiertag war die Synagoge immer schön geschmückt, und große frische
Blumensträuße standen vor der heiligen Lade. Danach kam dann noch im
Sommer Tisch-abov, ein Fasttag, an dem manche, wie mein Großvater, den ganzen
Tas fasteten, andere aber, vor allem die Frauen, nur einen halben Ta2. Außer
durch einen frühmorsendlichen Gottesdienst unterschied er sich sonst in nichts
von einem gewöhnlichen Arbeitstag. Damit ist der Jahreskreis geschlossen, denn
nun kommt ja schon bald wieder Rosch Haschono.

Zu den Festen des Jahreskreises kamen natürlich noch die Familienfeste. Das
einzige, an das ich mich noch lebhaft erinnere, war die Beschneidung meines jüngsten
Cousins Rolf. Rolf wurde Mitte März 1932 als jüngstes Kind meines Onkels Hugo
und als letztes jüdisches Kind in Müllheim geboren. Am achten Tag nach der Geburt
fand die Beschneidung, die „Briss Miloh", statt. Soviel ich mich erinnern kann, fiel
der große Tag auf einen Sonntag. Der Mohel, also der Mann, der die rituelle Handlung
vornehmen sollte, war aus Freiburg bestellt worden, denn die Müllheimer jüdische
Gemeinde hatte zu diesem Zeitpunkt keinen eigenen Mohel mehr.

Und so war man also im Herrenzimmer von Onkel Hugo versammelt, wo die
Zeremonie stattfinden sollte, und wartete. Das kleine Zimmer war voll von
Menschen, die Männer offiziell mit Zylinder und im Frack, auch der Medizinalrat
Dr. Nohl. den man aus lauter Fürsorge mit hinzugebeten hatte. Der Mohel kam nicht.
Dr. Nohl packte indessen seinen Arztkoffer aus und deponierte eine beeindruckende
Menge Instrumente und Arzneifläschchen auf dem Schreibtisch. Dann bot er sich an.
die „Kleinigkeit" selbst vorzunehmen. Mit viel Zureden wurde er davon abgehalten,
denn die „Kleinigkeit" war doch eine rituelle Handlung, mit der dem Kind auch sein
hebräischer Name gegeben wird, und Dr. Nohl war nicht einmal Jude.

Endlich, mit viel Verspätung, kam der Mohel. Großvater Gustav nahm als Pate das
Kind auf einem Kissen auf seine Knie, und ehe ich"s recht gewahr wurde, war die
feierliche Handlung vollzogen. Ich stand dabei, durfte die übliche Kerze halten, damit
ich was zu tun hatte und aus dem Weg war, und hatte viel mehr erwartet. Ich habe
vergessen, wie es an diesem Tag weiterging. Etwa eine Woche später war ein großes
Festessen für die Männer der Gemeinde, und ich durfte mit meinen damals acht Jahren
auch dabei sein. Der Markgräfler Wein sorgte für gute Stimmung, und bald ging es
so hoch her. daß Tante Hilde, die im Schlafzimmer neben dem Eßzimmer im

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