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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
57.1995, Heft 1.1995
Seite: 133
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1995-01/0135
rin das Thema der antiken Mythologie nicht mehr los. In Basel besuchte Marie Luise
Kaschnitz 1946 den Archäologen Karl Schefold. der noch heute als 90-Jähriger im
Antikenmuseum seiner Wissenschaft nachgeht und mir in einem freundlichen Gespräch
Auskunft über Marie Luise Kaschnitz gab.

Ort 1: Die Grenze

9. August 1946: "ehe ich morgen - o Wunder - nun wirklich in die Schweiz fahre"
beginnt Marie Luise Kaschnitz ihren Brief an Dolf Sternberger. Am 10. August ist sie
in Basel. Sie sieht ihre Schwester wieder und ist von Basel fasziniert: "Die Dinge in
den Läden. Alles von außerordentlicher Qualität. Der Lebensstandard. (...) Der
Zauber des Ferntelefons. Avenue mit Laternen. Musik im Restaurantgarten" (TB.
11.8.46). Angereist aus dem zerstörten Deutschland, erlebt die Kaschnitz eine andere
Welt. "Reise in die Schweiz, Reise ins Schlaraffenland, nirgends Brandruinen,
Trümmerschutt, zerlumpte Gestalten, Hohlwangen. Hohlaugen, dafür der Anblick
von unverwüsteten Straßenzügen, gepflegten Anlagen, Blumenbeeten. Blumenständen
. Obstständen. Schaufenster voll Patisserie. Kein Haus in den ärmsten Armenvierteln
, das man nicht gern bewohnt hätte, kein Passant, mit dem man die Kleider nicht
hätte tauschen mögen" (ffl. 454). Neben dem Faszinierenden notiert Marie Luise
Kaschnitz 1946 bereits ihr Fremdartiges: "Viele Schützen auf der Straße. Seltsam,
fast frevelhaft" (TB, 10.8.46). Und bei ersten Gesprächen bedrückt sie die "merkwürdige
Stimmung von Aneinandervorbeireden. Das 'Problem Deutschland' merkwürdig
abstrakt. Alle innerschweizerischen Schwierigkeiten Egoismen und Korruption bei
Gelegenheit der Deutschland-Hilfe" (TB, 11.8.46). Tags darauf fragt sie sich: "Ist das
hier die wirkliche Welt oder ein Reservat?" (TB, 12.8.46).

Über 20 Jahre später erinnert sich Kaschnitz an ihre Schweizer Wochen im Jahre
1946. In ihren Aufzeichnungen "Tage, Tage. Jahre" (1968) schreibt sie: "Auf dem
Postamt in Basel hatte ich, in Erw artung einer langen mißgelaunten Menschenmenge
beim Eingang eine Frau brutal überholt, ihr sogar die Tür vor der Nase zugeschlagen,
drinnen war dann überhaupt niemand, und die Frau hatte, als sie mir nachgekommen
war. nur fassungslos, wie unhöflich, gemurmelt. Ich hatte ihr nicht erklären können,
wie das bei uns war" (III. 189). Diese Anekdote ist typisch für die zunehmend
distanzierte Beurteilung der Schweiz - genauer: der Städte Basel und Bern - durch
Marie Luise Kaschnitz in ihren späteren autobiographischen Schriften: "Die gefüllten
Schaufenster, die Blumenkästen in Bern waren nicht die Wirklichkeit, (...) wir hatten
ja damals nichts, was uns, wie die Berner Häuser ihre Berner Bürger, schützend
umgab. Unser Dasein war zigeunerisch und bettelarm" (III, 189f.). Und in ihren
"Orte"-Aufzeichnungen von 1973 findet sie eine noch pointiertere Sprache, um ihre
Distanz zu beschreiben: "In Bern spüre ich das erste Unbehagen, diese blitzende
Sauberkeit, diese gepflegten Balkonblumen, diese glasklar rinnenden Brünnlein, ich
sehne mich nach Hause" (III. 454). Was in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch
teilweise faszinierend erschien, wird im Rückblick äußerst kritisch reflektiert. - fast

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