http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1999-01/0161
von selbst verbieten. Das alemannische Gedicht muß alemannisches Gedicht
bleiben und so geschrieben werden, daß es auch der Nichtalemanne lesen, verste-
hen und senießen kann.
Also, könnte man sagen, schreibe man das Alemannische wie man es spricht.
Bei näherem Zusehen wird man aber bald gewahr, daß dies unmöglich ist. weil die
vierundzwanzig Buchstaben des Alphabets hierzu nicht ausreichen. Man müßte
also neue Buchstaben erfinden, die kein Mensch kennt.
Die weit verbreitete Ansicht, daß man ja auch das Hochdeutsche schreibe, wie
es gesprochen werde, und daß die Erlernung einer Fremdsprache dadurch besonders
erschwert werde, daß die Schreibung allzu sehr von der Aussprache abweiche
, ist falsch. Dieselbe Meinung kann man nämlich auch von einem Franzosen in
Bezug auf die deutsche Sprache hören. In Frankreich schreien die Katzen bekanntlich
mio und nicht miau, weil der Franzose davon überzeugt ist. daß das geschriebene
au als langes o gesprochen werden muß. Also auch der Franzose ist davon
überzeugt, daß er schreibe wie er spreche, und das ist natürlich auch falsch. Kein
Volk kann schreiben, wie es spricht.
Man lese einmal aufmerksam ein paar hochdeutsche Zeilen daraufhin durch,
und man wird genügend Beispiele finden. Da sind beispielsweise sämtliche Helllaute
(Vokale) nicht nur verschieden in der Länge, sondern auch in der Klangfarbe
. In dem Wort ..gegeben'" haben wir dreierlei, durch denselben Buchstaben
bezeichnete e. In „Lied" und ..litt" sind zweierlei Längen und zweierlei Klangfarben
des i (geschlossenes und offenes i). Ebenso verhält es sich mit dem o in
..Ofen" und ..offen". Die Wörter Mahl. Mal und mal werden gleich gesprochen,
aber verschieden geschrieben. In dem Wort ..kein" sprechen wir hinter dem k ein
h. aber wir schreiben es nicht. Solche und ähnliche Beispiele lassen sich in beliebiger
Menge finden. Es ist also nichts mit der Schreibung „wie man spricht",
weder im Hochdeutschen noch im Alemannischen.
Erschwerend kommt noch hinzu, daß wir nicht Buchstaben lesen, sondern Wortbilder
. Ein fließendes Lesen wäre anders gar nicht möglich. Wohl jeder hat schon,
wenn er zwischen zwei Schreibweisen schwankte, beide niedergeschrieben und
am Wortbild sofort die ..richtige" erkannt. Von Jugend an prägen wir uns also die
Wortbilder des Hochdeutschen ein. Schriebe man nun. soweit möglich, das Alemannische
nur gemäß der Aussprache, so würden neue, unbekannte Wortbilder
entstehen. Diese würden überdies je nach unserem Heimatort ausfallen und vom
Leser aus einem anderen Ort oder einer anderen Gegend als „falsch" angesehen.
Man müßte also schreiben Boschd. Gäld. Schbatz. Doddnau. Mähl. Laidere. Wol-
ge. Negel und so fort. Schon diese einfachen Wortbilder kämen uns recht fremd
vor. und man müßte sich manchmal fragen: Was meint er echt?
Es wird sich also darum handeln, eine Schreibweise zu finden, welche die aus
der Schriftsprache gewohnten Wortbilder soweit als möglich erhält, ohne der Eigenart
des Alemannischen Gewalt anzutun.
Wir fragen uns: Wie hat es Hebel, der alemannische Klassiker, gemacht? Nun.
er hat sich beholfen. so gut es eben ging. Ein System ist in seiner Schreibweise
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