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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
62.2000, Heft 2.2000
Seite: 94
(PDF, 34 MB)
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großen Diagnostiker der Moderne zu werden. Dabei hatte ihn der Weg von
Schopfheim, wo er 1888 als Sohn schweizerischer Eltern geboren worden war,
über die Studienorte Freiburg. Kiel, München und Berlin im Jahre 1919 ins Tessin
geführt - ein Schritt, dem Wilhelm Hausenstein später grundsätzliche Bedeutung
beimaß, weil dort „die dem Menschen geschenkten Möglichkeiten noch offen da
lagen". Diese größere Nähe zu den „alten und ältesten Dingen" bildete Voraussetzung
und Rahmen für eine Zuwendung zu den Urphänomenen, die im Mittelpunkt
seines so originären wie singulären Lebenswerks stehen. Dieses entzieht sich einer
Einordnung in gängige Kategorien und könnte als weit gespannter Versuch einer
Deutung heutiger Existenz gelten, als Physiognomie unseres Zeitalters aus mythisch
-christlicher Sicht.

Ihre wirkliche Geltung erhielt diese Kennzeichnung für die Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg, als Picard seinen Rang als einer der maßgeblichen Kulturphilosophen
mit Büchern wie „Hitler in uns selbst" (1946). „Die Welt des Schweigens"
(1948). .Zerstörte und unzerstörbare Welt" (1951) sowie „Der Mensch und das
Wort" (1955) zur Geltung brachte - Titel, die ihn zu einem der meistgelesenen und
meistdiskutierten Philosophen seiner Zeit machten. Seit jedoch zu Beginn der
sechziger Jahre an die empirischen Gesellschaftswissenschaften fiel, was im heutigen
Diskursdeutsch Deutungsmacht heißt, wurde Picard - zusammen mit den
meisten Vertretern einer konservativ orientierten Kulturphilosophie - Opfer eines
radikalen Paradigmenwechsels: zusammen mit Rudolf Kassner und Karl Kerenyi,
Rudolf Pannwitz und Leopold Ziegler sowie anderen Anhängern eines ganzheitlich
-metaphysischen Denkens entschwand er den intellektuellen Debatten und philosophischen
Diskursen fast völlig.

Es war das „ganz und gar Mechanistisch-Positivistisch-Darwinistische" (Picard)
der Medizin gewesen, das ihn abgestoßen hatte, und von Anfang an stand er quer
zum Wissenschaftsverständnis seiner Zeit. Bereits sein erstes Buch „Der Bürger"
war eine ironisch-überlegene Distanzierung von der modernen Gesellschaft; und
indem seine beiden kunsttheoretischen Schriften „Expressionistische Bauernmalerei
" (1918) und „Mittelalterliche Holzfiguren" (1920) der nachimpressionistischen
künstlerischen Moderne mit ihrer Tendenz zur Auflösung des Gegenstandes die
Ganzheit und Ruhe der Volks- und mittelalterlichen Kunst entgegenstellten, gewann
seine Kritik auch inhaltliche Konturen. Dass seinem Denken indes eine
weniger begriffliche als eine ganzheitliche Wirklichkeitsvorstellung zugrunde lag.
die Mythen und Urbilder einschloss. belegte vor allem sein Buch „Der letzte
Mensch" (1921). In Bildern von großer Ausdruckskraft gestaltete er hier die
schauerliche Vision eines Untergangs, mit der er zugleich an einen Endpunkt
geriet. Rainer Maria Rilke nannte es „ein erstaunliches, ein unaufhaltsames, ein
furchtbares Buch" und meinte weiter: „Als ich es erst, Seiten um Seiten, mir
entgegenjagen sah, in einem Sturm, der aus einem schon eröffneten Jüngsten
Gericht herüberblies, da ertrug ichs fast nicht länger und immer fragte ich mich
mit Sorge: wie wird er zu dieser Bewegung die Wind-Stille schaffen, die doch
irgendwann kommen musste?"

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