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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
62.2000, Heft 2.2000
Seite: 97
(PDF, 34 MB)
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nur*', sagt er in der „Welt des Schweigens" von Jean Paul und charakterisiert
damit nicht zuletzt seine eigene Sicht der Welt); dass seine Welt in ihrer A-
Kausalität keine streng philosophische Kompetenz und soziologische Tiefenschärfe
besitze (nicht wissen zu wollen, „wie ein Ding entstanden ist, sondern nur, dass
es ist", warf ihm Georg Lukäcs vor); dass seine Welt metaphysisch sei und von
einer Art umgekehrter Theodizee bestimmt (nicht die Frage ist von Belang, wie
Gott zu rechtfertigen sei angesichts einer Welt des Bösen, sondern nur wenn der
Mensch Gott vertraue, könne sie besser werden); dass seine Bücher, wie Wilhelm
Hausenstein notierte, wie im Selbstgespräch entstanden seien, wodurch der Autor
„sich in die Einsamkeit seiner Wege bis dorthin verliere, wo kaum das Auge,
geschweige denn der Fuß ihm folgen kann" - : all diese und weit mehr Einwände
lassen sich wohlbegründet erheben und treffen doch nur Einzelnes, vermögen
seinem „Genie des Ganzen" nichts anzuhaben.

Dieses „Genie des Ganzen" beweist sich vor allem in der inneren Kohärenz
einer Un-Bedingtheit, aus der alles Beiläufige verbannt ist. In einem Beitrag für
die Festschrift zu Picards 70. Geburtstag berichtete Benno Reifenberg von einer
picard'schen Postkarte, die unvermittelt mit „Es ist auch so, daß..." begann. Picards
Bücher sind allesamt „Es ist auch so, dass..."- Bücher; sie zielen auf das
Wesentliche. Diese Apodiktik ist umso mehr „Programm", als Picards Kritik ja
gerade der Zerrissenheit des modernen Lebens gilt, der Auflösung der inneren
Strukturen: „Der Mensch von heute bewegt alle Dinge zu sich hin in einem zusammenhanglosen
Durcheinander; das beweist, dass auch sein Inneres ein zusammenhangloses
Durcheinander ist". In „Hitler in uns selbst", das den Nationalsozialismus
als letzte Konsequenz und Aufgipfelung von Phänomenen der inneren
Zusammenhanglosigkeit des modernen Menschen darstellt, wird diese Diagnose
an einem Beispiel aus dem Bereich der Medien verdeutlicht: „Auf der ersten Seite
war eine fast nackte Tänzerin abgebildet; auf der zweiten Seite übte ein Bataillon
Soldaten mit einem Maschinengewehr; darunter wurde der Gelehrte in seinem
Laboratorium gezeigt; auf der dritten Seite war die Entwicklung des Fahrrades
von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute abgebildet; daneben war ein chinesisches
Gedicht abgedruckt; auf der nächsten Seite waren Gymnastikübungen der
Arbeiter in der Y-Fabrik während der Freizeit photographiert, darunter die Knüpfschrift
eines südamerikanischen Indianerstammes".

Für diese Zusammenhanglosigkeit und Beliebigkeit der Medien und damit auch
unserer Bewußtseinsinhalte - bei Picard mit dem Begriff „Diskontinuität" belegt -
hätte sich auch ein Beispiel aus der „Welt des Schweigens" anführen lassen. In
diesem Buch erscheint das Schweigen als ein „Phänomen für sich", wird es als
Realität eigenen Gewichts erstmals bewusst gemacht - als Teil jenes Mehr und
jenes Urgrunds nämlich, aus dem das Wort entsteht, um wieder dorthin zurückzukehren
. Zugleich aber erscheint das Schweigen - das mehr ist, als wenn nur jemand
gerade nichts sagt - gefährdet; der Autor bringt diese Gefahr mit dem Wort
„Radiogeräusch" auf den Begriff: „Das Radio ist eine Maschinerie, die das pure
Wortgeräusch produziert, es kommt fast gar nicht mehr auf einen Inhalt an, son-

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