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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
62.2000, Heft 2.2000
Seite: 98
(PDF, 34 MB)
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dem nur darauf, dass ein Geräusch entsteht. Die Worte sind wie zerstampft im
Radio, sie sind wie in eine unförmige Masse verwandelt. Beim Radio gibt es kein
Schweigen mehr, aber auch kein Wort, ein Zustand ist hier geschaffen, wo das
Schweigen nicht mehr vermisst wird, aber auch nicht mehr das Wort, wo das Wort
zum Radiogeräusch zerrieben ist. wo alles da ist und doch nichts da ist. Das Radio
hat allen Raum des Schweigens okkupiert. Schweigen gibt es überhaupt nicht
mehr: auch wenn das Radio abgestellt ist. scheint das Radiogeräusch noch da zu
sein, unhörbar weiterzugehen. So ungeformt ist das Radiogeräusch, daß es keinen
Anfang zu haben scheint und auch kein Ende, es ist grenzenlos. Und so ist auch
der Mensch dieses Radiogeräusches selbst: er ist formlos, unentschieden, innerlich
und äußerlich, ohne Grenzen, maßlos. Es gibt keinen Raum mehr, in dem geschwiegen
werden kann, er ist schon im voraus weggenommen. Es ist, als ob man
fürchte, daß von irgendwoher das Schweigen aufbreche und das Radiogeräusch
vernichte, darum wird jeder Raum ausgefüllt mit Geräusch, es getraut sich nicht
aufzuhören, immer ist es auf der Wache gegen das Schweigen. Es gibt kein
Schweigen mehr, nur noch eine Pause vor dem nächsten Radiogeräusch."

Wer will, kann hieran einmal mehr die Schwachpunkte picard'sehen „Argumentierens
" festmachen: da erscheinen die Massenmedien zwar als Symbol unserer
Epoche, doch statt den gesellschaftlichen Gebrauch zu kritisieren, der von ihnen
gemacht wird, wirft sich Picard allein auf die metaphysische Seite des Phänomens,
um in einen scheinbar kulturpessimistischen Rigorismus zu verfallen. Aber sind in
dieser sprachmächtigen Vision die eigentliche Wirklichkeit des Phänomens Radio
bzw. der Massenmedien, ihre Tendenz zur Unterwerfung unter ihr Diktat und ihre
unaufhaltsam-bedrohliche Eigendynamik nicht ungleich wahrer und eindringlicher
erfasst und ausgesprochen als in allen soziologisch orientierten Untersuchungen
mit ihrer empirischen Untermauerung zusammen?

Wo das Wort nicht mehr dem Schweigen abgerungen ist und nicht mehr auf es
verweist, wird es zum bloßen Wortgeräusch, dem jede Verbindung zur Wahrheit
fehlt. Picard hat diese Sachverhalte jedoch nicht nur ausgesprochen; seine Bilder
und Worte kommen selbst aus dieser Ursprünglichkeit und stehen wie Monumente
im Marktlärm des Kulturbetriebs. Ihre außerordentliche Wirkung beruht auf einem
starken Kontrast zu den Moden und Zwängen der Gegenwart, aber auch auf einer
insgeheimen Kraft, im Heutigen Altes und Ältestes machtvoll zu vergegenwärtigen
. Dadurch entstehen Entgrenzungen und Entengungen des Blicks, die uns der
Schmalspurigkeit unseres Weltbewusstseins innewerden lassen und unsere
Distanz zu den Beliebigkeiten heutiger Existenz auf ein neues Fundament stellen.
Diese Fixierung auf die Gegenwart hatte Ernst Jünger im Sinn, als er in ..Siebzig
verweht" über die Gewalt moderner Mythenzerstörung notierte, man dürfe nicht
zu sehr Zeitgenosse sein, um Verluste noch empfinden zu können - und je mehr
man es sei, desto weniger habe man die Chance, dass einem die Welt noch aus
ihren Tiefen heraus antworte. Und der Picard in vielem so nahe Religionsphilosoph
Leopold Ziegler meinte, es werde zu seinem Ruhme vielleicht einmal nichts
Größeres zu sagen sein, als dass er seiner Zeit nicht ganz und gar angehört habe.

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